Eine neue Studie erklärt, warum ein leichtes Übergewicht bei älteren Patienten nach Operationen lebensrettend sein könnte.
Was hat die neue Studie zum Zusammenhang von Überleben nach OP mit dem Körpergewicht ergeben?
Die aktuelle JAMA-Studie mit älteren Patienten (ab 65 Jahren) nach einer großen, geplanten Operation ergab, dass übergewichtige Patienten (BMI 25,0-29,9) die niedrigste Sterblichkeitsrate (nach 30 Tagen und 1 Jahr) hatten, verglichen mit Patienten mit normalem Gewicht (BMI 18,5-24,9). Auch für Patienten mit Adipositas Grad I (BMI 30,0-34,9) und Adipositas Grad II (35,0–39,9) konnte die Studie keine erhöhte Sterblichkeit gegenüber Normalgewichtigen (BMI 18,5–24,9) feststellen. Untergewichtige Patienten (BMI <18,5) hatten hingegen das höchste Sterberisiko (75%). Das heißt, ein leicht erhöhtes Gewicht scheint in dieser Patientengruppe einen gewissen „Schutz“ zu bieten, möglicherweise durch bessere Energiereserven
Sind diese Erkenntnisse neu?
Ja und Nein. Die traditionelle Ansicht war, dass ein normaler BMI vor Operationen am besten ist, und die Studie stellt diese Ansicht in Frage. Die Idee, dass ein leicht höherer BMI bei älteren Menschen generell vorteilhaft sein kann (bekannt als „Adipositas-Paradoxon“), ist nicht völlig neu. Die aktuellen Ergebnisse zeigen diesen „Schutz-Effekt“ jedoch speziell bei älteren Patienten (ab 65 Jahren), die sich einer Operation unterziehen.
Welche Schlussfolgerungen ziehen die Wissenschaftler, was empfehlen sie auf Basis ihrer aktuellen Erkenntnisse?
Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass ein leichtes Übergewicht (BMI 25-29,9) bei älteren Operationspatienten (ab 65 Jahren) mit besseren Überlebenschancen verbunden ist. Sie sehen darin einen möglichen Hinweis auf größere Energiereserven für die kritische Erholungsphase nach der Operation. Sie empfehlen daher, die üblichen Empfehlungen zur Gewichtsabnahme für diese Patientengruppe vor einer Operation zu überdenken und die BMI-Risikokategorien neu zu bewerten.
Sollen Menschen über 65 Jahre besser zunehmen um im BMI-Bereich Übergewicht besser vor frühem Tod nach OP „geschützt“ zu sein?
Die Studie empfiehlt nicht direkt, dass ältere Menschen zunehmen sollen. Die Erkenntnis ist, dass ein leichtes Übergewicht (BMI 25,0–29,9) mit den besten Überlebenschancen verbunden war. Die Wissenschaftler deuten an, dass dieses höhere Gewicht eine größere physiologische Reserve oder einfach ein Zeichen besserer allgemeiner Gesundheit sein könnte. Oder einfacher: Dick sein beudetet nicht automatisch krank sein. So sind schätzungsweise 10 bis 20 Prozent der Typ-2-Diabetiker normalgewichtig sind. Die neuen Erkenntnisse bestärken auch das kontrovers diskutierte, aber plausible „Adipositas-Paradoxon“
Was genau ist das „Adipositas-Paradoxon“?
Das Adipositas-Paradoxon ist eine Beobachtung, die besagt, dass Menschen mit leichtem Übergewicht oder sogar Fettleibigkeit bei bestimmten schweren chronischen Krankheiten (wie Herzschwäche oder Nierenversagen) bessere Überlebenschancen haben als normalgewichtige Kranke. Es klingt paradox, weil Übergewicht „doch eigentlich krank macht“. Eine mögliche Erklärung: Die übergewichtigen Patienten haben mehr Energiereserven („ein Polster“), die ihnen helfen, in der akuten Krankheitsphase besser zu überleben. Allerdings wird dieses Paradoxon in neueren Studien oft infrage gestellt – in anderen Publikationen hingegen immer wieder auf´s Neue bestätigt. Lesne Sie hier, was es mit dem Adipositas-Paradoxon auf sich hat und warum Dicke oft länger leben als Dünne.
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Dieser Beitrag erschien im Original zuerst auf FOCUS online-Experte
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Uwe Knop (*72) ist evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler (Dipl.oec.troph./JLU Gießen), Publizist, Referent und Buchautor (aktuell „ENDLICH RICHTIG ESSEN“ (Aug, 2024)). Seit mehr als 14 Jahren bildet die objektiv-faktenbasierte Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Knop hat den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, worauf er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt – genussvolles Essen zur Lebenserhaltung – vertraut.
Kontakt: Uwe Knop auf LI