Zahlreiche Genehmigungen auf dem Prüfstand.
Am 13.02.2025 verhandelt das EU-Gericht in Luxemburg die Klage der Aurelia Stiftung und weiterer Nichtregierungsorganisationen gegen die Verlängerung von Genehmigungen für Pestizid-Wirkstoffe. Im Zentrum der Klagen steht die umstrittene Praxis der EU-Kommission, die Genehmigungen nach dem Ende ihres Geltungszeitraums wiederholt zu verlängern, obgleich die erforderliche Risikoprüfung für die Wiederzulassung noch nicht abgeschlossen werden konnte. An den Verfahren sind diverse Hersteller von Pestiziden (z.B. Bayer) und ihre Interessenverbände als Streithelfer auf Seiten der EU-Kommission beteiligt.
Die Aurelia Stiftung (Berlin) klagt gegen die 2022 erfolgte Verlängerung der Genehmigung des Wirkstoffes Glyphosat (BAYER). Das in Verkehr halten von Pestiziden mit ungeklärten Risiken für Bienen und Biodiversität widerspricht dem Vorsorgeprinzip und der EU-Pestizidverordnung. Diese erlaubt Ausnahmen nur in besonders begründeten Fällen.
„Mehr als hundert Pestizidwirkstoffe werden von der EU-Kommission durch Ausnahmegenehmigungen am Markt und damit auf dem Acker gehalten. Das gesetzlich vorgesehene hohe Schutzniveau für die Umwelt wird durch diese Praxis untergraben. Das Europäische Gericht muss nun sicherstellen, dass nicht die wirtschaftlichen Interessen der Pestizidhersteller, sondern der Umwelt- und Gesundheitsschutz Vorrang haben .“ So Thomas Radetzki, Vorstandsvorsitzender der Aurelia Stiftung.
Außer der Klage der Aurelia Stiftung in Sachen Glyphosat verhandelt das EU-Gericht am 13. Februar die von den Umweltorganisationen Pollinis France und PAN Europe erhobenen Klagen. Diese betreffen die Pestizid-Wirkstoffe Boscalid und Dimoxystrobin von BASF. Nach dem Auslaufen der Wirkstoffgenehmigungen hat die EU-Kommission diese mehrfach verlängert, und zwar für einen Zeitraum von jeweils insgesamt ca. 8 Jahren. Die ersten Genehmigungs-Verlängerungen hat die EU Kommission schon erteilt, bevor der erste Schritt der Risikoprüfung im EU-Genehmigungsverfahren abgeschlossen war.
Rechtsanwalt Dr. Achim Willand von der Kanzlei [GGSC] stellt fest: „Die EU-Kommission verlängert Alt Genehmigungen jahrelang und hält so Pestizide weiter in Verkehr, die nicht vollständig auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft geprüft sind. So auch im Falle des Totalherbizids Glyphosat“
Dr. Willand vertritt die Aurelia Stiftung in verschiedenen Verfahren zu Pestizid Zulassungen, so auch zur Ende 2023 für 10 weitere Jahre erfolgten Erneuerung der Genehmigung von Glyphosat. Die von der Kommission vorgesehen „Risikominderungsmaßnahmen“ für die Biodiversität beim Einsatz von Glyphosat sind nicht umsetzbar.
Kontaktdaten und Erläuterungen zu den sachlich und rechtlich komplexen Themen, finden Sie auf den folgenden Seiten.
Zum rechtlichen Hintergrund:
In der EU müssen Pestizid-Wirkstoffe eine strenge Risikoprüfung auf Basis der aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse durchlaufen, bevor sie eine Genehmigung für die Vermarktung und die Verwendung erhalten. An der Risikoprüfung wirken nach EU-Recht insbesondere mit: der von der EU Kommission beauftragte Mitgliedstaat, die EFSA und die EU-Kommission. Diese entscheidet schließlich nach Beteiligung der EU-Mitliedstaaten über die Genehmigung.
Genehmigte Wirkstoffe müssen regelmäßig auf Grundlage des aktuellen Standes der Wissenschaft überprüft werden. Daher sind Genehmigungen für Pestizid-Wirkstoffe nach EU-Recht immer befristet (maximal 15 Jahre). Dadurch soll sichergestellt werden, dass rechtzeitig eine aktualisierte Risikoprüfung durchgeführt wird, wenn der Wirkstoff weiter im Verkehr bleiben und verwendet werden soll. Die EU-Kommission nennt dies den „zyklischen Ansatz“.
Der Hersteller muss 3 Jahre vor Ablauf des Genehmigungszeitraums einen Antrag auf Wiederzulassung (Erneuerung der Genehmigung) stellen. Er muss nachweisen, dass der Wirkstoff unschädlich ist. Sämtliche für den Nachweis erforderliche Studien und Daten muss der Hersteller in der Anfangsphase des Verfahrens vorlegen. Für jeden Schritt der Risikoprüfung und der Entscheidungsfindung sind im EU-Recht genaue Verfahrensfristen festgelegt, damit nach spätestens 3 Jahren über die Wiederzulassung entschieden werden kann. Ohne Wiederzulassung müssen der Wirkstoff sowie alle Pflanzenschutzmittel, die diesen enthalten, vom Markt genommen werden.
Die Praxis der Kommission verstößt gegen EU-Recht:
Die Kommission macht von der Ausnahmeregelung (Art. 17 VO 1107/2009) exzessiv Gebrauch. Viele Genehmigungen von Pestizid-Wirkstoffen werden in der EU immer wieder – teils um Jahre – verlängert, obwohl die erforderliche aktuelle Risikoprüfung noch nicht abgeschlossen war.
Damit hebelt die EU-Kommission das beschriebene System der zyklischen Überprüfung von Wirkstoffgenehmigungen aus. Mit der Ausnahmeregelung dürfen Genehmigungen unseres Erachtens höchstens für einige Monate verlängert werden, damit der Zeitraum, in dem Pestizid-Wirkstoffe ohne aktuelle Prüfung in Verkehr sind, strikt limitiert wird. Die Kommission verlängert die Wirkstoffgenehmigungen dagegen bei der Verzögerung beliebiger Verfahrensschritte, auch wenn die Verfahrensfristen um viele Monate oder Jahre überschritten wurden.
Die Rechtsauffassung der Kommission, sie müsse auch bei jahrelangen Verzögerungen der Risikoprüfung die Wirkstoff-Genehmigung entsprechend verlängern und brauche keine Belange des Umwelt- und Gesundheitsschutzes berücksichtigen, ist falsch. Diese routinemäßigen, jahrelangen Verlängerungen auch für Pestizidwirkstoffe mit erheblichem Gefährdungspotential verstößt auch gegen das Vorsorgeprinzip.
Zudem muss die Kommission nach unserer Auffassung genau prüfen, ob eine Verzögerung in den Verantwortungsbereich des Herstellers fällt, etwa weil er erst auf Anforderung der Behörden Daten nachgeliefert hat, für deren Auswertung dann längere Zeit benötigt wird. Dagegen erhalten die Hersteller durch die routinemäßige Verlängerung seitens der Kommission auch nach Ablauf der Verfahrensfristen immer wieder die Gelegenheit, Daten nachzureichen.
Die EU-Kommission hat in den drei bei dem EU-Gericht anhängigen Verfahren keinerlei rechtlichen Ansatz angeboten, um die exzessive Anwendung der Ausnahmeregelung einschränken zu können. Mit den Klagen soll verhindert werden, dass Pestizid Wirkstoffe wie Glyphosat nach Auslaufen der Genehmigung noch jahrelang auf dem Markt sind, obwohl sie nicht auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft geprüft sind. Nur so kann auch dem vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) aufgestellten Grundsatz Rechnung getragen werden, dass der Umwelt- und Gesundheitsschutz im Zweifel Vorrang gegenüber wirtschaftlichen Interessen hat.
Wiederzulassung für Glyphosat – Klage der Aurelia Stiftung
Nachdem im Laufe des Jahres 2023 die Risikoprüfung für Glyphosat aus Sicht der EU-Kommission abgeschlossen werden konnte, hat diese entschieden, dem Wirkstoff wieder eine reguläre Genehmigung für weitere 10 Jahre zu erteilen.
Allerdings enthält die Risikoprüfung auf EU-Ebene trotz der Verlängerung des Verfahrens um ein Jahr weiterhin erhebliche Lücken. Deshalb ist in der Wiederzulassung des Wirkstoffs vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten bei der Prüfung von Pflanzenschutzmitteln, die Glyphosat enthalten, bestimmte Risiken vertieft untersuchen und ggf. „Risikominderungsmaßnahmen“ treffen. Diese Abwälzung von Aufgaben der Risikoprüfung von der EU-Ebene auf die Mitgliedstaaten ist unseres Erachtens Unions-rechtswidrig.
Die gravierendste Auswirkung von Glyphosat ist wahrscheinlich die Beeinträchtigung der Biodiversität durch den breiten Einsatz dieses Totalherbizids auf einem großen Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Nach wie vor existiert jedoch keine anerkannte wissenschaftliche Methode (Leitlinie) zur Bewertung von Auswirkungen des Pestizideinsatzes auf die Biodiversität. Es ist daher völlig ungewiss, ob in den Mitgliedstaaten angemessene Beschränkungs- oder Ausgleichsmaßnahmen zum Schutz der Biodiversität getroffen werden.
Vor diesem Hintergrund klagen die Aurelia Stiftung und andere Verbände auch gegen die Wiederzulassung von Glyphosat für 10 Jahre bei dem EU-Gericht.
(Az. des Aurelia-Verfahrens: T 578/24)
Mehr Informationen zu den Glyphosat Klagen der Aurelia Stiftung seit 2017:
www.aurelia-stiftung.de/glyphosat-zulassung