Ist Vitamin D gar nicht der Gesundheitsbooster, wie wir dachten? Die Debatte um Vitamin D und seine Wirkung ist hitzig.
Ernährungswissenschaftler Uwe Knop liefert Einblicke in die neuesten Forschungsergebnisse.

Was hat der neue Vitamin-D-Report der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) bestätigt?
In der aktuellen sogenannten „Evidenzsynthese“ untersuchten die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) die Wirksamkeit von Vitamin D zur Vorbeugung verschiedener Gesundheitsprobleme bei gesunden Erwachsenen. Dazu nutzen die Wissenschaftler alle verfügbaren seriösen Studienergebnisse und vorherige Zusammenfassungen unabhängiger Institutionen wie medizinische Fachgesellschaften, IQWiG und Cochrane. Das aktuelle Fazit der Forscher zu den relevanten Endpunkten ist so klar wie ernüchternd:
- Atemwegsinfektionen und Immunsystem: Eine Vitamin-D-Supplementierung kann die die Anzahl neu aufgetretener Krankheitsfälle an Atemwegsinfektionen / COVID-19 eher nicht reduzieren. Möglicherweise könnte ein minimaler vorbeugender Effekt gegen Infektionen mit Erkältungs-, Schnupfen- und Grippeviren vorliegen..
- Depression: Kein statistisch signifikanter Effekt bezüglich depressiver Symptomatik
- Diabetes: Möglicherweise keine Reduktion von Typ 2 Diabetes durch Vitamin D
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Vitamin D schützt wahrscheinlich nicht vor Herzinfarkt und Schlaganfall
- Knochenbrüche: Vitamin-D-Einnahme alleine hat möglicherweise keine Auswirkung auf die Prävention von Knochenbrüchen.
- Krebs: Wahrscheinlich hat Vitamin D keinen Einfluss auf das Auftreten von Krebs
- Mortalität (Sterblichkeit): Kein Einfluss von Vitamin D auf Mortalität (SRES). Reduktion der Mortalität durch Vitamin D(₃) bei älteren Personen
Sind diese Erkenntnisse zur „Nicht-Wirksamkeit“ von Vitamin D neu?
Nein, die unabhängigen österreichischen Wissenschaftler bestätigen damit nur erneut, was bereits oft festgestellt wurde. Auch die Devise „Viel hilft viel“ gilt daher natürlich nicht – ganz im Gegenteil. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnte jüngst sogar öffentlich vor der Einnahme hoher Einzeldosen Vitamin D, weil diese gesundheitliche Risiken birgt. Weitere spannende Infos zur D-Datenlage liefert dieser Hintergrundartikel:
Nehmen wir genug Vitamin D mit der Nahrung auf?
Nein. Das ist auch biologisch gar nicht „so geplant“. Über die Ernährung führen wir nur einen kleinen Teil zu. Einige Lebensmittel enthalten zwar Vitamin D, allerdings in relativ geringen Mengen. Dazu gehören beispielsweise die fettreichen Fische Lachs, Makrele und Hering, die wir in unserer mitteleuropäischen Ernährung aber nicht so oft verzehren. Der biologische „Plan“ der Natur hingegen sieht so aus: Unser Körper stellt etwa 80 Prozent bis 90 Prozent des Vitamins selbst in der Haut her, und dafür Sonnenlicht ist notwendig – und zwar nur UV-B-Strahlung, die vor allem im Freien vorhanden ist. Daher wird immer wieder die Frage diskutiert, ob wir Mitteleuropäer im Herbst und Winter einen relevanten Vitamin-D-Mangel entwickeln und was man dagegen tun kann.
Gut zu wissen: Vitamin D ist eigentlich gar kein Vitamin im klassischen Sinne, sondern eine Hormonvorstufe, die zu einem hochaktiven „Knochenhormon“ (Calcitriol) umgewandelt wird. Durch UV-B-Strahlen aus Sonnenlicht, das auf die Haut scheint, kann unser Körper aus Cholesterin das Vitamin D in dieser inaktiven Proform selbst herstellen. Daher wird Vitamin D auch oft als Sonnenvitamin bezeichnet. Die Hormonvorstufe aus der „hauteigenen Produktion“ wird in Leber und Niere weiter in seine aktive Form umgewandelt. Dieses wirksame Hormon nimmt dann eine Schlüsselrolle im Knochenstoffwechsel und bei der Knochenmineralisierung ein. Darüber hinaus ist Vitamin D an vielen weiteren Stoffwechselvorgängen beteiligt.
Sollen wir jetzt im Winter nicht doch lieber Vitamin D-Pillen einnehmen?
Nein. das ist grundsätzlich nicht nötig. „Gesunde Durchschnittsdeutsche“ sollten im Winter grundsätzlich keine Vitamin-D-Präparate einnehmen. Hier sind sich die drei führenden medizinischen Fachgesellschaften für Endokrinologie, Allgemeinmedizin und innere Medizin einig: „Für einen ‚gesunden‘ erwachsenen Durchschnittsdeutschen reichen die Vitamin D-Speicher, die in der sonnenreichen Jahreszeit gebildet werden, auch für den Winter aus“, erklärt Stephan Scharla von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE).
Sein ärztlicher Kollege Jan Oltrogge von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) und Autor der kommenden S3-Ärzteleitlinie zur Vitamin D-Supplementation ergänzt: „Auf Basis vieler Studien sowie internationaler Leitlinien ist davon auszugehen. dass für gesunde Durchschnittsdeutsche weder eine Vitamin D-Spiegelbestimmung noch eine allgemeine Supplementierung mit Vitamin D-Präparaten notwendig ist. Es gibt keine überzeugenden wissenschaftlichen Belege dafür, dass eine Einnahme von Vitamin D-Tabletten gesunde Menschen ‚gesünder‘ macht.“
Auch Dagmar Führer-Sakel, Endokrinologin und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) stellt klar: „Gerade wurde die Studienlage zum Einsatz von Vitamin D für die Vorbeugung von Krankheiten neu bewertet. Hierzu gehören auch sehr pragmatische Empfehlungen für die Allgemeinbevölkerung im Vergleich zu Risikogruppen für einen Vitamin-D-Mangel. Bei Erwachsenen im Alter bis 74 Jahre wird beispielsweise eine Vitamin D-Supplementation grundsätzlich nicht empfohlen.“
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Dieser Beitrag erschien im Original zuerst auf FOCUS online-Experte.
Uwe Knop (*72) ist evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler (Dipl.oec.troph./JLU Gießen), Publizist, Referent und Buchautor (aktuell „ENDLICH RICHTIG ESSEN“ und „ERFOLGREICH ABNEHMEN“ (2. Auflage 2025)). Seit mehr als 15 Jahren bildet die objektiv-faktenbasierte Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Knop hat den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, worauf er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt – genussvolles Essen zur Lebenserhaltung – vertraut.
Kontakt: Uwe Knop auf LI
