Ideologie ohne Nährwert liefert widersprüchliche Debatte

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Ideologie ohne Nährwert liefert widersprüchliche Debatte

„Fertiggerichte: Jeder siebte beißt früher ins Gras“

Das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat unter seinem Minister Alois Rainer liefert eine klare Aussage. „Essen ist Genuss – und eine ausgewogene Ernährung ist das beste Rezept für eine gute Gesundheit.“ Im Gegensatz dazu streiten sich die Ernährungsideologen in einer widersprüchlichen Weise. Die Verbraucher sind irritiert. Während die Vertreter einer veganen Ernährung darüber streiten, ob durch lebensmitteltechnisch anspruchsvolle Verfahren hergestellte Ersatzprodukte für Fleisch auch Schnitzel oder Wurst heißen dürfen, behaupten andere Aktivisten, dass hochstehende Verarbeitung von Lebensmitteln diese zu gesundheitsschädlichen Produkten macht, die den Konsumenten mit frühzeitigem Tod bedrohen. Es ist ein Zwei-Fronten-Krieg, der mit Behauptungen statt mit validen Fakten geführt wird.

Die Ernährungswissenschaft, die sich sachlich mit Inhalten der Nahrung beschäftigt, spielt eine zunehmend unbedeutende Rolle. Es ist ein dominanter Trend, dass die Ernährungsdiskussion heute primär durch Ideologie bestimmt wird. Wie realitätsfern die Diskussion geworden ist, zeigen die Kontroversen über vegetarische und vegane Ersatzprodukte auf der einen Seite und parallel die ideologisch motivierten Angriffe gegen die Lebensmittelwirtschaft auf der anderen Seite. Die Kämpfer für die angeblich gesunde Ernährung nehmen sich selbst die Butter vom Brot.

Die Propaganda, dass Nahrungsmittel pflanzlich basiert sein sollten, steht in einem diametralen Gegensatz zu dem Frontalangriff auf die Unternehmen in der Lebensmittelwirtschaft, die angeblich durch ihre Verarbeitung den Verbraucher in seiner Gesundheit schädigen. Es bleibt dabei nämlich ein Rätsel, wie ohne eine hochstehende Verarbeitung aus Erbsen ein Schnitzel werden soll. Weder Hausfrau noch Koch können mit traditionellen Methoden der Küche aus frischen Erbsen einen Burger machen. Das kann nur technologisch hochstehende Fertigung. Und ist das hochverarbeitete Ersatzprodukt aus Erbsen überhaupt ein Schnitzel oder die kunstvoll aus Tofu hergestellte Paste im Darm eine Wurst?

Das Europaparlament hat sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass vegetarische Fleischersatzprodukte künftig nicht mehr Burger, Schnitzel und Wurst heißen sollen. Am 8.10.2025 wurde in Straßburg für eine entsprechende Gesetzesänderung gestimmt. Die Entscheidung ist allerdings nicht endgültig, sie geht nun in die Verhandlungen mit den 27 EU-Ländern.

Verbraucherschützer halten wenig von dem Vorhaben. Der Geschäftsführer der Organisation Foodwatch, Chris Methmann, spricht von „Lobbyismus in den Diensten der Fleischindustrie“. Niemand kaufe versehentlich Tofuwürstchen, weil er glaube, es seien Rinderwürste. Während diese Agitations-Truppe in ihren Kampagnen gegen die Industrie regelmäßig fordert, den Produkten einen detaillierten Beipackzettel mitzugeben, ist die Nomenklatur bei veganer Ware offenbar unerheblich.

Ein Verbot der Begriffe, so wird behauptet, würde Verbraucherorientierung, Innovationsdynamik und das Wachstum der gesamten Kategorie gefährden. Das wäre ein Armutszeugnis für die Ersatzprodukte, wenn fleischaffine Bezeichnungen die notwendigen Voraussetzungen für die Positionierung im Markt sein müssten.

Ideologie kontra Ideologie

Auf der Basis wissenschaftlicher Fakten sind Diskussionen, auch solche mit kontroversen Positionen, möglich. In der ideologischen Auseinandersetzung geht es um Meinungen. Frei von einer evidenzbasierten Beweispflicht werden die selbst definierten Ziele mit Sendungsbewusstsein verfolgt. Beim Thema Lebensmittel lässt sich aktuell eine bizarre Kontroverse zwischen den Propheten der veganen Ernährung mit technologisch anspruchsvoll hergestellten Ersatzprodukten und jenen Ideologen verfolgen, die gegen eine technologische Lebensmittelproduktion agitieren, weil sie grundsätzlich die Lebensmittelwirtschaft in Misskredit bringen wollen. Beweise für ihre jeweilige Argumentation hat weder die eine noch die andere Seite. Man hat Überzeugungen, Beobachtungen und daraus abgeleitete Korrelationen. Faktenbasierte Kausalitäten sind unerheblich.

Eine neue Front der Ernährungs- und Lebensmittelaktivisten will den Menschen das heute gewohnte Essen geradezu grundsätzlich versalzen. Zum Angriff auf die Lebensmittelwirtschaft wird zunehmend ein Begriff als Argument benutzt, der die heutigen Nahrungsmittel fast schon in Toto als schädlich klassifiziert. Ultra-Processed Food (UPF), also hochverarbeitete Lebensmittel. Es ist ein tautologischer Vorwurf. Hersteller werden attackiert, weil sie etwas durch Verarbeitung herstellen. Gegen den von den Konsumenten gewünschten Trend, Convenience Food aus unterschiedlichen Gründen zu kaufen, lässt sich mit dem UPF-Vorwurf die breiteste Front aufbauen. Ein Verzicht auf verarbeitete Lebensmittel ist in der modernen Ernährung kaum umzusetzen.

Eine umfangreiche Studienlage zeigt, dass ein Lebensmittel nicht automatisch ungesund ist, nur weil es hoch verarbeitet ist. Das ist logisch und nachvollziehbar. Man muss sich immer die konkrete Zusammensetzung anschauen. Bei dem UPF-Vorwurf an die Hersteller triumphiert die ideologische Wertigkeit über die biologische Wertigkeit.

„Jeder siebte beißt früher ins Gras“

Einen ideologischen Angriff gegen die Lebensmittelwirtschaft liefert der Biologe Dr. Franz-Werner Dippel unter dem reißerischen Titel „Jeder siebte beißt früher ins Gras“ (DocCheck). Er behauptet, dass der Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln die Lebenserwartung um bis zu 14 % verkürzen kann. Belege dafür sollen prospektive Beobachtungsstudien in den Ländern Kolumbien und Brasilien, Chile und Mexiko sowie in Australien, Kanada, Großbritannien und USA liefern. Über alle acht Länder verteilt würden sich jährlich etwa 200.000 vorzeitige Todesfälle ergeben, die auf den Verzehr hochverarbeiteter Lebensmittel zurückzuführen sein sollen.

Diese faktenfreie Phantasie erscheint dem Biologen selbst unheimlich. Er muss eingestehen, dass alle angeblichen Studienergebnisse eigentlich wertlos sind. Wie immer bei Analysen, die auf Daten von Beobachtungsstudien basieren, so der Autor selbstkritisch, geht auch aus dieser Untersuchung nicht zweifelsfrei hervor, ob es sich bei den Ergebnissen um kausale Zusammenhänge oder zufällige Assoziationen handelt. Die Einordnung der vorliegenden Ergebnisse wird auch dadurch erschwert, dass die Analyse keine Vergleichsgruppe von Menschen, die keine UPF verzehren, beinhaltet. Trotz seiner Zweifel an der Sinnhaftigkeit der von ihm zitierten Studien lässt sich Dippel zu Aussagen wie „Hochverarbeitet heißt Hochrisiko!“ oder „Die Fertigessen-Falle“ hinreißen. Ideologie triumphiert einmal mehr über akademische Korrektheit.

Besonders entlarvend ist seine Information, dass UPFs sich auch daran erkennen lassen, dass sie in aufwändigen Verpackungen angeboten werden und eine Nährwerttabelle sowie ein Zutatenverzeichnis auf ihrer Verpackung tragen müssen. Dippels kriminalistischer Spürsinn geht ins Leere. Verpackungen dienen dem Schutz der Produkte und Nährwerttabellen und Zutatenverzeichnisse gehören zum Pflichtprogramm der Hersteller, um die Verbraucher zu informieren.

NOVA-System der Willkür

Ultra-processed Food soll signalisieren, dass ein Lebensmittel mit den eingesetzten Rohstoffen und deren natürlichem Ursprung nichts mehr zu tun hat. Es soll der Eindruck erweckt werden, bei diesen Lebensmitteln handele es sich um eine Industrieware, die nicht die Kriterien einer gesunden und ausgewogenen Ernährung erfüllen könne. Zutreffender ist der Begriff Convenience Food, also vorgefertigte Lebensmittel. Und diese müssen keineswegs schlechter sein als das, was am privaten Herd gekocht wird. Ohnehin hängt die Gesundheit nicht von einzelnen Nahrungsmitteln oder einzelnen Zutaten ab, sondern von der Ausgewogenheit der Ernährung und vor allem dem gesamten Lebensstil, der deutlich mehr ist als eine Tiefkühlpizza.

Wie willkürlich das System ist, hat eine Untersuchung im Jahr 2022 gezeigt. Die Studie „Ultra-processed foods: how functional is the NOVA system“, veröffentlicht im Europäischen Journal für klinische Ernährung, kam zu dem Ergebnis, dass dieses System keine zuverlässigen und funktionellen Lebensmittelzuordnungen zulässt.

Zudem bemängeln Kritiker, dass die NOVA-Klassifikation ausschließlich auf dem Grad der Lebensmittelverarbeitung beruht, während die Ernährungswissenschaft Lebensmittel nach wie vor auf der Grundlage ihrer Zusammensetzung aus Makro- und Mikronährstoffen (Stärke, Zucker, Fett, Eiweiß, Ballaststoffe, Phytochemikalien, Vitamine, Mineralien und Spurenelemente) sowie dem Kaloriengehalt beurteilt.

Die aktuellen Kontroversen von der Nomenklatur für Fleischersatzprodukte bis zur vermeintlich unheilvollen Verarbeitung von Lebensmitteln sind ein konterkarierender Ideologiestreit. Jeder siebte beißt nicht früher ins Gras, wie beweisfrei behauptet wird. Bewiesen ist dagegen die Tatsache, dass bei allen, die ideologisch motiviert Gras essen, die Mortalitätsrate bei einhundert Prozent liegt.