Studie zum wirtschaftlichen Potenzial von kultiviertem Fleisch

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In Deutschland könnte durch die Entwicklung von kultiviertem Fleisch ein neuer Markt von 16 Milliarden Euro entstehen.

Eine neue Studie des Beratungsunternehmens Systemiq analysiert das wirtschaftliche und ökologische Potenzial der Entwicklung von kultiviertem Fleisch in Deutschland und in der EU.
Mit hinreichender Unterstützung könnte der Sektor bis 2050 bis zu 17 Milliarden Euro zur deutschen Wirtschaft beitragen und bis zu 0,4 % des deutschen BIP ausmachen.
Um das Potenzial auszuschöpfen, sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten bis 2050 jährlich 500 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln bereitstellen, um das Wachstum zu unterstützen.

Eine aktuelle Studie mit dem Titel „The Cultivated Meat Opportunities in the European Union“ analysiert das Potenzial Deutschlands, eine wettbewerbsfähige Branche für kultiviertes Fleisch aufzubauen. Die Studie wurde von Systemiq erarbeitet, einem Beratungsunternehmen für systemischen Wandel, und vom gemeinnützigen Think Tank GFI Europe unterstützt. Bei der Zellkultivierung werden Fleisch und andere Bestandteile – wie Fett – direkt aus tierischen Zellen gezüchtet. Es kann zur Herstellung eigenständiger Produkte oder als funktionelle Zutat in pflanzenbasierten Produkten verwendet werden, um deren Geschmack und Textur zu verbessern.

Die Studie skizziert verschiedene Zukunftsszenarien und zeigt das Potenzial von kultiviertem Fleisch für mehr Wirtschaftswachstum, für zukunftsfähige Arbeitsplätze, für den Außenhandel,und für ökologische Nachhaltigkeit. Deutschland könnte in diesem vielversprechenden Bereich eine führende Position in Europa einnehmen. In einem ambitionierten Szenario, in dem der Sektor unterstützt wird und viel investiert wird, könnte der deutsche Markt für kultiviertes Fleisch einen Gesamtwert von bis zu 16 Milliarden Euro erreichen und bis 2050 bis zu 17 Milliarden Euro zur Wirtschaft beitragen. Dies würde 0,4 % der deutschen Wirtschaftsleistung entsprechen und in etwa dem gleichkommen, was aktuell die Branche für Backwaren zur Wirtschaftsleistung beiträgt (rund 17 Milliarden Euro).

Die Analyse weist darauf hin, dass der Erfolg des Sektors von mehreren Faktoren abhängen wird, wie z. B. von weiteren technologischen Fortschritten, öffentlichen und privaten Investitionen in den Sektor und von einem transparenten Weg zur Markteinführung, was auch transparente und evidenzbasierte Zulassungsentscheidungen umfasst.

Deutschlands strategische Positionierung

Deutschland ist eines der am besten positionierten EU-Länder, um einen hoch wettbewerbsfähigen Sektor für kultiviertes Fleisch zu entwickeln: Es ist nach den USA die führende Biotechnologie-Nation in den Bereichen wissenschaftliche Forschung und Innovation und verfügt über bemerkenswerte Biotechnologie-Innovationszentren. Darüber hinaus ist Deutschland einer der größten Pharmahersteller weltweit mit etablierten Unternehmen wie Merck und Eppendorf, die sich bereits als führende B2B-Lieferanten für die Wertschöpfungskette von kultiviertem Fleisch positionieren. Schließlich verfügt Deutschland über einen zukunftsorientierten Fleisch- und Landwirtschaftssektor mit vielen etablierten Akteuren, die sich zu diversifizierten Proteinunternehmen weiterentwickeln wollen.

In einem ambitionierten Szenario könnte der heimische Markt für kultiviertes Fleisch bis 2050 einen Wert von bis zu 6,9 Milliarden Euro erreichen, einschließlich kultivierter Endprodukte für den deutschen Markt und B2B-Inputs zur Herstellung derselben (z. B. kultiviertes Fett zur sensorischen Aufwertung von Fleisch auf pflanzlicher Basis sowie Vorleistungen wie Wachstumsfaktoren und technisches Equipment).

Deutschland ist die drittgrößte Exportnation der Welt, und auch die wirtschaftlichen Chancen im Sektor kultiviertes Fleisch liegen hauptsächlich im Exportmarkt: Deutschland könnte von einem neuen Exportmarkt mit einem Volumen von bis zu 9,3 Milliarden Euro bis 2050 profitieren, wobei der überwiegende Teil nicht auf kultivierte Endprodukte, sondern auf B2B-Zulieferungen entfallen würde.

Die europäische Perspektive

Weltweit hat der Markt für kultiviertes Fleisch das Potenzial, bis 2050 einen Wert von 510 Milliarden Euro zu erreichen, wobei die Region Asien-Pazifik der Haupttreiber dieses Wachstums sein dürfte. In der EU könnte der Markt für kultiviertes Fleisch bis 2050 entlang der Wertschöpfungskette einen Wert von bis zu 80 Milliarden Euro erreichen und jährlich bis zu 85 Milliarden Euro zur Wirtschaftsleistung der EU beitragen.

Laut der Analyse könnte der Sektor bis 2050 bis zu 90.000 neue hochqualifizierte Arbeitsplätze in der EU schaffen, davon bis zu 15.000 in Deutschland. Diese Prognose berücksichtigt nur die direkten Beschäftigungseffekte – Schätzungen zufolge wird für jeden im kultivierten Fleischsektor geschaffenen Arbeitsplatz ein weiterer Arbeitsplatz in anderen Bereichen der Wirtschaft geschaffen.

Die Studie geht davon aus, dass ein großer Teil des Sektors nicht durch kultivierte Endprodukte, sondern durch funktionale Inhaltsstoffe gekennzeichnet ist, die pflanzliche Produkte verbessern können. Deshalb könnte das Wachstum des Sektors für kultiviertes Fleisch auch dazu beitragen, einen größeren Markt für pflanzliche Proteine zu erschließen, was wiederum einen breiteren wirtschaftlichen Nutzen für Unternehmen im Plantbased-Bereich und für den Agrarsektor mit sich bringen würde. Diese Effekte wurden in dieser Studie nicht quantifiziert.

Breiter gesellschaftlicher Nutzen

Über die wirtschaftlichen Chancen hinaus könnte kultiviertes Fleisch auch erhebliche ökologische Vorteile bringen. Der Bericht schätzt, dass der gesamte Sektor für kultivierte und für pflanzliche Proteine die globalen Treibhausgasemissionen bis 2050 um bis zu 3,5 Gigatonnen reduzieren könnte – das entspricht bis zu 17 % der gesamten Emissionen des Lebensmittelsystems. Zudem könnten der globale Bedarf an Agrarflächen um ein Drittel (1,4 Milliarden Hektar) reduziert und 225 Millionen Kubikmeter Wasser eingespart werden.

Diese Veränderungen würden nicht nur zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen, sondern auch die Ernährungssicherheit stärken und Risiken für die öffentliche Gesundheit, etwa im Hinblick auf Antibiotikaresistentz und Pandemien durch zoonotische Krankheiten, minimieren.

Handlungsempfehlungen um das Potenzials des Sektors zu heben

Der Bericht betont jedoch, dass erhebliche Investitionen erforderlich sind, um diese Vorteile zu erschließen. Weltweit benötigt die Branche zwischen 2024 und 2050 jährlich 55 Milliarden Euro, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen. 5 Milliarden Euro davon entfallen auf die EU und ihre Mitgliedstaaten. Davon sollten 500 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln stammen, wobei der Bericht eine Aufteilung von 40/60 zwischen Forschung und Entwicklung auf der einen Seite und der Entwicklung der Infrastruktur auf der anderen Seite empfiehlt.

Die Studie empfiehlt der Regierung, klare politische Leitlinien zur Unterstützung des Sektors zu formulieren, damit Deutschland die mit kultiviertem Fleisch verbundenen Chancen voll ausschöpfen kann. Da das derzeitige Ökosystem für kultiviertes Fleisch in Deutschland noch begrenzt ist, empfiehlt die Studie die Einrichtung von auf Zellkultivierung spezialisierten Innovationszentren, die junge Unternehmerinnen und Unternehmer anziehen und die Zusammenarbeit zwischen Startups, Wissenschaft und Industrie fördern würden.

Deutschland hat in den letzten Jahren Deutschland begonnen, in die Diversifizierung seiner Proteinversorgung zu investieren. Analysen (z. B. des Fraunhofer ISI) zeigen jedoch, dass der Bereich kultiviertes Fleisch dabei bislang nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft angekündigte Proteinstrategie und die Bioökonomiestrategie der Bundesregierung wären gute Ausgangspunkte, um das Potenzial in diesem Bereich stärker zu erschließen und mit größeren Investitionen zu unterstützen.

Dies deckt sich mit Einschätzungen der Menschen in Deutschland, wie eine repräsentative Umfrage zeigt. Demnach befürworten 66 % der Menschen in Deutschland, dass kultiviertes Fleisch hierzulande hergestellt wird, wenn es zugelassen wird, damit auch die deutsche Wirtschaft davon profitieren kann.

Christine Delivanis, Partnerin bei Systemiq: „Unsere Analyse zeigt, dass die EU auf erstklassiges Fachwissen und exzellente Forschung aufbauen kann, was einen enormen Wettbewerbsvorteil bei der Entwicklung des Sektors für kultiviertes Fleisch darstellen kann. Wenn Deutschland und die EU diese Stärken nutzen, können sie eine Führungsrolle in diesem sich schnell entwickelnden Bereich übernehmen und den Abstand zu anderen Weltregionen verringern, die hier bereits erhebliche Fortschritte machen. Gegenwärtig steht die industrielle Wettbewerbsfähigkeit der EU im Fokus und die Schaffung eines unterstützenden politischen und regulatorischen Umfelds für kultiviertes Fleisch kann dazu beitragen, diese Chance zu nutzen und privates Kapital zu mobilisieren.“

Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager für Deutschland bei GFI Europe: „Kultiviertes Fleisch hat das Potenzial, neue Optionen für die Proteinversorgung in Deutschland zu schaffen und gleichzeitig drängende gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen – wie die Verringerung der Umweltbelastung, die Verbesserung der Ernährungssicherheit und die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze. Die politischen Entscheidungsträger in Deutschland sollten dazu beitragen, dieses Potenzial zu heben, indem sie eine stärkere Förderung von kultiviertem Fleisch in der Proteinstrategie und der Bioökonomiestrategie verankern und indem sie der Empfehlung dieser Studie folgen, spezialisierte Innovationszentren für kultiviertes Fleisch zu schaffen.“

Über Systemiq

Systemiq wurde 2016 gegründet, um die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und des Pariser Abkommens voranzutreiben. Systemiq transformiert Märkte und Geschäftsmodelle in fünf Schlüsselsystemen: Natur und Ernährung, Materialien und Kreislaufwirtschaft, Energie, städtische Gebiete und nachhaltige Finanzen. Als zertifizierte B Corp kombiniert Systemiq strategische Beratung mit wirkungsvoller Arbeit vor Ort und arbeitet mit Unternehmen, Finanzinstituten, politischen Entscheidungsträgern und der Zivilgesellschaft zusammen, um einen Systemwandel herbeizuführen. Systemiq hat Niederlassungen in Brasilien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indonesien und den Niederlanden.

Über GFI Europe

Das Good Food Institute Europe ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die alternative Proteinquellen vorantreibt, um das globale Ernährungssystem nachhaltiger, sicherer und gerechter zu machen. Das Good Food Institute arbeitet mit Wissenschaft, Unternehmen und Politik daran, pflanzenbasierte und kultivierte Fleisch-, Fisch-, Eier- und Milchprodukte zu fördern, so dass diese schmackhaft, günstig und überall in Europa erhältlich sind. Die Arbeit des Good Food Institute wird aus Spenden finanziert.

Quelle: GFI