Es war einmal ein mächtiger König, dessen Reich sich über weite, dichte Wälder erstreckte, so weit das Auge reichte.
An einem klaren Herbstmorgen ritt König Valerian mit seinem Gefolge zur Jagd aus. Die Luft war kühl und klar, das Laub leuchtete in goldenen und roten Tönen – ein perfekter Tag für die Jagd nach Hirschen. Doch das Schicksal hatte andere Pläne.
Tief im Dickicht, verfolgt von der Jagdbeute, verlor der König den Anschluss an seine Männer. Ein plötzlicher Nebel zog auf, dichter und undurchdringlicher als alles, was Valerian je erlebt hatte. Die vertrauten Pfade verschwanden, die Rufe seiner Jäger verhallten in der Stille des Waldes. Panik stieg in ihm auf, doch er zwang sich zur Ruhe. Stunde um Stunde irrte er umher, sein edles Ross hatte er längst zurücklassen müssen, um sich durch das Unterholz zu schlagen. Die Sonne sank tiefer, malte gespenstische Schatten und tauchte den Wald in ein undurchdringliches Dunkel.
Die Kälte kroch in seine Glieder, und der Magen schmerzte vor Hunger, wie er es noch nie erlebt hatte. Jeder Schritt war eine Qual, die königliche Robe, nun zerrissen und schmutzig, bot kaum Schutz. Als die letzte Hoffnung zu schwinden drohte, sah er durch die Bäume einen schwachen Lichtschein. Er humpelte darauf zu, getrieben von einem letzten Funken Willen.
Es war eine kleine, windschiefe Hütte, aus deren Schornstein eine dünne Rauchsäule aufstieg. Zögernd klopfte Valerian an. Eine uralte Frau mit gütigen Augen öffnete die Tür. Sie war runzelig wie ein Herbstapfel, doch ihre Augen strahlten eine tiefe Weisheit aus. Ohne ein Wort des Urteils über den zerlumpten Mann vor ihr, bat sie ihn herein.
Im Inneren war es warm und roch nach Holzrauch und etwas Wunderbarem. Auf einem einfachen Herd köchelte in einem großen Topf ein Eintopf. Valerian spürte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Er hatte seit dem Morgen nichts gegessen, und der körperliche Hunger, der ihn zerfraß, war eine neue, überwältigende Erfahrung.
„Setzt Euch, Fremder“, sagte die alte Frau sanft. „Ihr seht müde aus. Es gibt genug für uns beide.“ Sie reichte ihm eine dampfende Schale. Ohne Zögern griff der König zu.
Der erste Löffel war eine Offenbarung. Es war der beste Eintopf, den er je gegessen hatte. Er schmeckte nach erdigen Wurzeln, deftigem Gemüse und einer Prise von etwas Unbekanntem, das seine Geschmacksnerven explodieren ließ. Jeder Bissen war eine Symphonie, ein Trost für seine erschöpften Knochen. Valerian aß, bis kein Krümel mehr übrig war, sein Herz erfüllt von tiefer Dankbarkeit. Er hatte schon in den prächtigsten Sälen gespeist, die exquisitesten Speisen genossen, doch nichts kam diesem einfachen Eintopf gleich.
Nachdem er satt und zufrieden war, beschrieb ihm die alte Frau den Weg zurück zu seinem Schloss. Er staunte über ihre genaue Kenntnis des Waldes. Mit einem tiefen Gefühl der Wertschätzung verabschiedete er sich und fand, dank ihrer Anweisungen, tatsächlich den Rückweg.
Am nächsten Morgen, als er wieder in seinem warmen Bett lag und der Hofstaat erleichtert aufatmete, rief er seine besten Köche zu sich. „Reitet zu der Hütte der alten Frau im Wald“, befahl er. „Holt das Rezept für ihren Eintopf! Ich muss ihn wieder essen!“
Die Köche ritten aus, fanden die Hütte und kehrten mit dem Rezept zurück. Voller Eifer machten sie sich ans Werk. Sie verwendeten die feinsten Zutaten, folgten jeder Anweisung der alten Frau genauestens. Als der Eintopf serviert wurde, blickte Valerian erwartungsvoll auf die dampfende Schale.
Doch der erste Löffel … er war gut, ja. Aber nicht wie damals. Es war ein leckerer Eintopf, keine Frage, aber diese magische, unvergleichliche Köstlichkeit fehlte. Die Köche versuchten es immer wieder, optimierten die Gewürze, wählten noch bessere Zutaten. Doch der König schüttelte jedes Mal den Kopf. Es schmeckte ihm einfach nicht mehr so gut wie in jener Nacht im Wald.
Valerian verstand nicht, was fehlte. Er wusste nicht, dass es nicht das Rezept war, das den Eintopf so einzigartig gemacht hatte. Es war der echte, ursprüngliche Hunger, der ihn damals fast verrückt gemacht hatte. Es war die Kälte, die Angst und die Erschöpfung, die seinen Körper und seine Seele nach Nahrung hatten schreien lassen. In seinem Schloss, wo jederzeit üppige Festmahle auf ihn warteten und der Hunger ein Fremdwort war, konnte kein Eintopf der Welt je wieder so schmecken wie jener in der kleinen Hütte. Denn wahrer Genuss findet seinen tiefsten Ursprung im echten, körperlich-biologischen Hunger, die ihn hervorruft.
Und die Moral von der Geschicht´? Ohne Hunger schmeckt es nicht (wirklich überwätigend)!.
Oder anders: Essen ohne Hunger ist wie Sex ohne Orgasmus!