Wissenschaftlicher Artikel fasst 30 Jahre Forschung zum Sauerteig zusammen

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Das Paper „Thirty years of knowledge on sourdough fermentation: A systematic review“ zeigt das vielseitige Potenzial dieses besonderen Teigs.

Das Geheimnis guten und gesunden Essens steckt vielfach in einfachen Dingen. Und was könnte einfacher sein, als die Herstellung von Sauerteig: es reicht Mehl und Wasser zu mischen und den Teig über spontan entstehende Milchsäurebakterien und Hefen in Gärung zu halten. Die Ursprünge des Sauerteigs liegen wahrscheinlich in Ägypten, doch seitdem hat er sich rund um die Welt und in vielen verschiedenen Kulturen verbreitet: beispielsweise im maltesischen Sauerteigbrot ftira, das im Vorjahr von der UNESCO in die Listen des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde. Jeder dieser Sauerteige ist einzigartig, weil sich die Mikroorganismen, aus denen sie bestehen, unterscheiden.

So lange die Geheimnisse und Vorzüge dieser Teigform bereits überliefert werden – die Wissenschaft hat ihn erst spät entdeckt. Erst in den vergangenen 30 Jahren haben Forscher begonnen, die Eigenschaften und Vorteile des natürlichen Sauerteigs im Vergleich zu künstlich hergestellten Hefen oder zur Bierhefe zu untersuchen. Ein Wissen, das in vielen Ländern vorhanden und vor allem Wissenschaftlern zugänglich ist – bis nun ein Forschungsteam begann, es in kompakter Form so aufzuarbeiten, dass auch Industrie und Verbraucher daraus neue Impulse zur Nutzung und Weiterentwicklung dieser alten Tradition gewinnen können.

Hinter dem nun veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel “Thirty years of knowledge on sourdough fermentation: A systematic review“ stehen Marco Gobbetti, Professor für Lebensmittelmikrobiologie (weltweit Nummer 1 in Google Scholar) und Dekan der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik, und sein Forschungsteam im Micro4Food Lab unter Leitung von Professorin Raffaella Di Cagno. Der Professor der unibz steht auch hinter der ersten und einzigen Sauerteig-Bibliothek, die in Belgien gemeinsam mit der Multinationalen Puratos aufgebaut wurde. Eine gemeinnützige Initiative, in der bislang mehr als 100 unterschiedliche Sauerteig-Arten aufgenommen wurden.

Wissen aus 1230 Studien

Die Autor*innen des Papers, das vom Journal Trends in Food Science and Technology veröffentlicht wurde,  haben aus den vier wichtigsten wissenschaftlichen Datenbanken Google Scholar, Scopus, PubMed e ScienceDirect die bedeutendsten Studien der vergangenen drei Jahrzehnte zum Thema Sauerteig ausgewählt. Wurden früher industrielle Backwaren fast ausschließlich mit Bierhefe oder künstlichen Hefen hergestellt, so begann die Industrie in den Nuller-Jahren, sich die Erkenntnisse der Forschung zur Spontangärung zunutze zu machen und vermehrt auf natürliche Hefen zu setzen.

Nach der Bereinigung der Rechercheergebnisse von Duplikaten, Reviews, Diplomarbeiten und Buchbeiträgen kam das Team um Gobbetti auf eine Gesamtzahl von 1230 Studien, die den Begriff „Sauerteig“ als Hauptdeskriptor hatten. „Unser Hauptaugenmerk war darauf gerichtet, auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse der vergangenen dreißig Jahre das ernährungsphysiologische und technologische Potenzial dieser natürlichen Zutat zu beleuchten“, erklärt Gobbetti. „Nun verfügen wir über eine breite Basis an wissenschaftlichen Erkenntnissen, die einerseits Impulse für neue Forschungsprojekte in diesem Feld geben und andererseits den Einsatz von Sauerteig von Industrie und Verbrauchern fördern.“

Gärungsform mit überzeugenden Ergebnissen

Ein großer Vorteil von Sauerteig besteht in seiner breiten Einsatzmöglichkeit für süße wie salzige Backwaren. In Europa ist Italien mit über 30 traditionellen Produkten Spitzenreiter in der Rangliste von Backwaren auf Basis von Sauerteig, doch unzählige Variationen davon finden sich auch in Nordeuropa (vor allem bei Roggenbrot), in Asien wie beispielsweise dem iranischen Barbari-Brot, in Afrika (z.B dem traditionellen ägyptischen Brot Baladi) oder in Lateinamerika und seinen Tortillas. Welches Potenzial die Spontangärung hat, zeigt sich an der großen Brandbreite von Zutaten, die sich dafür eignen: Mehlsorten aus 23 unterschiedlichen Getreidearten und 10 Pseudogetreidearten, 19 Hülsenfrüchten und 25 anderen Pflanzenarten. Diese Vielfalt kann sich insbesondere hinsichtlich der Entwicklung glutenfreier Produkte als interessant erweisen.

Viele Artikel beschäftigen sich auch mit der Rheologie (Konsistenz), den sensorischen Eigenschaften und der Haltbarkeit von Sauerteig-Produkten. Auch in dieser Hinsicht hat sich gezeigt, dass natürliche Hefen der Bierhefe überlegen sind: gleich mehrere Studien haben dies für Volumen, Konsistenz und Beständigkeit des Teigs belegt. Auch Eigenschaften wie Geschmack, Aroma oder die Farbe der Kruste fallen bei Sauerteigprodukten eindeutig besser aus; ihre Haltbarkeit steigt nicht zuletzt dank der Fähigkeit, die Produktion von Pilzen zumindest innerhalb gewisser Limits ohne den Zusatz chemischer Konservierungsmittel zu verhindern.

Heilende und gesundheitsfördernde Eigenschaften

In den vergangenen Jahren – insbesondere zwischen 2015 und 2019 – hat sich die Forschung zu Sauerteig vor allem auf seinen Nährwert und seine nutrazeutischen, also heilenden oder gesundheitsfördernden, Eigenschaften konzentriert. Selbst in diesem Feld schlägt Sauerteig die Konkurrenz gezüchteter Hefestämme. So bleiben Mineralstoffe wie Zink, Kalzium, Eisen, Sodium oder Magnesium, die in den Rohstoffen der jeweils verwendeten Mehle vorhanden sind, auch in den Backwaren weit besser verfügbar.

Ebenso führt die Spontangärung zur Anreicherung der Produkte mit zusätzlichen Ballaststoffen, ohne den Geschmack oder die Textur zu beeinflussen. Dies führt dazu, dass der glykämische Index, also die Wirkung auf den Blutzuckerspiegel, von „hoch“ auf „mäßig“ gesenkt wird. Der gleiche Effekt wird bei glutenfreien Nahrungsmitteln beobachtet. Schließlich zeigt die wissenschaftliche Literatur, dass die Spontangärung die Verdaulichkeit der Backwaren erhöht – auch für Personen mit Zöliakie – und den Abbau so genannter Antinährstoffe ermöglicht, die in Getreide, Pseudogetreide und Hülsenfrüchten enthalten sind; beispielsweise Raffinose, ein in Hülsenfrüchten enthaltenes Trisaccharid, das Schwellungen und Darmbeschwerden verursacht.

Die Forschung über Sauerteig erschöpft sich nicht in den Ergebnissen, die Gobbetti und sein Team in ihrem Artikel zusammenfassen: „Dreißig Jahre sind ein ausreichend langer Zeitraum, um einige Schlussfolgerungen ziehen zu können. Wir können zweifellos sagen, dass Sauerteig in vielerlei Hinsicht enorme Vorteile gegenüber konkurrierenden Gärungsverfahren hat. Vor allem müssen wir noch besser verstehen, wie wir den Prozess der Spontangärung verfeinern, also seine Stabilität weiter verbessern und seine Dauer verkürzen können. Dadurch wird es möglich sein, den Einsatz des Sauerteigs in Handwerk und Industrie weiter zu steigern“, so Marco Gobbetti.

Quelle: Uni Bozen