Warum gibt es so wenig Veganer in Deutschland, obwohl niemand Tierleid will?

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Gäbe es die Umfrage „Würden Sie sich tierleidfrei-vegan ernähren, wenn alles gleich günstig wäre, genauso gut schmecken würde und Sie keine Einbußen bei Qualität und Nährstoffversorgung hinnehmen müssen?“, so läge die Zustimmung sicher bei weit über 80 %. Warum aber gibt es nur 2-3 % Veganer?

Mit KI erstellt

In Deutschland liegen die Zahlen – je nach Umfrage – bei wenigen 2-3 % der Bevölkerung, die sich selbst als Veganer einordnen In der EU sind es zwischen 0,5 bis 4 %. Ergo essen mehr als 95 % tierische Lebensmittel. Doch niemand will leidende Tiere, die für den Brotaufstrich der Kinder oder das eigene Mittagessen letztlich sterben müssen. Niemand will für den Tod eines Tieres verantwortlich sein. Kaum jemand will selbst töten und schlachten. Könnten sich die Menschen nur mit pflanzlicher Nahrung – genauso wie heute – als Allesesser gleich lecker, gleich gut, gleich günstig, gleich hochwertig, frisch und sicher ernähren, ohne dass auch nur ein Tier leiden und sterben muss, ernähren, dann gäbe es sicher viel mehr Veganer. Grundsätzlich ist eine rein pflanzliche Ernährung auch möglich – daher stellt sich Frage:

Warum essen 98 % der Deutschen noch immer tierische Produkte, die größtenteils aus konventioneller Massentierhaltung mit den niedrigsten staatlichen Mindestanforderungen an Tierschutz (Kategorie 1 und 2), stammen?

Eine naheliegende Vernutung ist: Eine vegane Ernährungsweise ist nicht intuitiv möglich. D.h. wer auf alle tierischen Lebensmittel verzichtet, der kann nicht mehr „frei“ und genussvoll seinen körperlichen Bedürfnissen und Trieben entsprechend essen und sich auf seine Körpersignale Hunger und Lust verlassen. Ein veganer Essstil erfordert nachdenken, -lesen, -rechnen, sich Kenntnisse aneignen und testen testen testen, wie man die perfekte Nährtstoffversorgung auch ohne tierische Lebensmittel erreicht – vielleicht.. Denn teilweise braucht man auch bei bester Planung zwingend Zusatzpillen (z.B. Vitamin B12). ´Das alles schränkt ein, reglementiert, verunsichert und kann zu Nährtstoffmangel und Krankheiten führen – besonders, wenn man sich in der „veganen Ersatzwelt“ nicht auskennt und das Falsche isst. Daher wird auch unisono von allen medizinischen Fachorganisationen von einer veganen Ernährung bei Kindern vollumfänglich abgeraten – denn bleibende Schäden drohen, besonders neurologische, wenn die Eltern es falsch machen!

All das brauchen Allesesser in der Regel nicht zu berücksichtigen. Ein gesunder Körper signalisiert uns mit seinen evolutionsbiologischen Signalen aus dem enterischen Nervensystem via Hunger, Lust, Sättigung und Verträglichkeit sehr gezielt, was er wann braucht. So können wir uns ganz genau nach diesen intuitiv spürbaren Wünschen unseres Körpers ernähren – denn wir Leben im Schlaraffenland, wo es nahezu jedes Essen zu jeder Zeit zu erschwinglichen Preisen und guter Qualität zu kaufen und bestellen gibt. All das können Veganer nicht – wahrscheinlich nicht. Denn es gibt derzeit auch keine spezifischen Studien, die wissenschaftlich explizit be- oder widerlegen, dass sich Veganer trotz des Verzichts auf tierische Produkte intuitiv vollwertig ernähren können.

Veganer müssen also rechnen: Welche pflanzlichen Lebensmittel liefern mir welche Stoffe? Und wieviel brauche ich eigentlich wann in welchen Lebensphasen? Wo muss ich mit Pillen ergänzen? Das kann auf Dauer schwer anstrengend werden, Denn es gibt allein etwa 30 essenzielle Nährstoffe, d.h. diese Substanzen brauchen wir zum Leben und wir müssen sie mit der Nahrung aufnehmen. Dazu gehören essenzielle Fettsäuren und Aminosäuren – letzteres sind die Bausteine der Proteine (Eiweiße). Hinzu kommen Vitamine, Mineralstoffe, Spuren- und Mengenelemente, die wir unbedingt mitessen müssen.

All diese Nährstoffe in Kombination kann kein Mensch für sich errechnen – und sich auch nicht nach dieser Rechentabelle ernähren. Das ist nicht möglich ohne Einbußen und Risiken – zumindest langfristig, lebenslang.

Die meisten Allesesser zählen und rechnen nicht. Sie essen einfach, genießen, vertrauen auf ihre Intuition – und sie sind ausreichend gut versorgt. Das ist der gravierende Unterschied:

Veganer können sich nicht intuitiv ernähren.

Veganer essen primär verstandesgesteuert. Das ist anstrengend.

Auch wenn es keine Umfrage gibt, in der repräsentativ gefragt wurde: „Wenn Sie sich frei von Tierleid ernähren könnte, also ohne dass ein Tier für Ihr Essen leiden und sterben muss, und diese neue Ernährungsweise bei gleichem Genuss- und Kostenlevel genauso ausreichend Nährstoffe liefert wie mit tierischen Lebensmittel, würden Sie die tierleid & -tiertodfreie Ernährungsweise wählen oder würden Sie weiterhin Tiere/tierische Lebensmittel essen?“, so haben wir doch einige Hinweise in diese Richtung:

Auch wenn wir möglicherweise keine exakte Umfrage mit dieser Wortwahl finden, deuten die Ergebnisse zahlreicher Studien darauf hin, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung bereit wäre, sich tierleidfrei zu ernähren, wenn die genannten Bedingungen (gleicher Genuss, Kosten und Nährwert) erfüllt wären. Dies unterstreicht die Bedeutung der Entwicklung und Vermarktung attraktiver pflanzlicher und anderer tierleidfreier Alternativen. Ergo: Hier muss noch viel passieren, wenn die propagierte „Ernährungswende“ erfolgreich sein soll!

Hinzu kommen mehrere Umfragen und Studien, die in ähnlicher Weise die Bereitschaft der Menschen untersuchen, sich unter bestimmten Bedingungen pflanzlich oder tierleidfrei zu ernähren. Auch wenn die exakt oben formulierte Frage in dieser Form vielleicht nicht in jeder Umfrage vorkommt, zielen viele Studien darauf ab, die Akzeptanz und die Motive für oder gegen eine Reduktion des Konsums tierischer Produkte zu erfassen.

Hier sind einige Beispiele für Arten von Umfragen und deren Ergebnisse, die dieser „Gretchenfragestellung“ nahekommen:

  1. Umfragen zur Akzeptanz von Laborfleisch (kultiviertes Fleisch): Diese Umfragen fragen oft nach der Bereitschaft, Fleisch zu konsumieren, das im Labor ohne Tierleid hergestellt wurde. Die Ergebnisse zeigen tendenziell eine signifikante Bereitschaft, dies zu tun, insbesondere wenn Geschmack, Preis und Nährwert mit konventionellem Fleisch vergleichbar sind.
  2. Studien zu den Motiven für und gegen vegane/vegetarische Ernährung: Diese Studien untersuchen die Gründe, warum Menschen sich für oder gegen eine pflanzliche Ernährung entscheiden. Tierwohl ist oft ein wichtiger Faktor für diejenigen, die sich pflanzlich ernähren. Umgekehrt werden Geschmack, Gewohnheit und die wahrgenommene Notwendigkeit tierischer Produkte als Gründe für den Konsum genannt.
  3. Szenario-basierte Umfragen: Einige Studien präsentieren den Befragten hypothetische Szenarien, in denen pflanzliche Alternativen in Bezug auf Geschmack, Preis und Nährwert tierischen Produkten ebenbürtig sind. In solchen Szenarien zeigen viele Menschen eine erhöhte Bereitschaft, pflanzliche Optionen zu wählen, oft unter dem Aspekt der Reduzierung von Tierleid und Umweltauswirkungen.
  4. Marktforschungsstudien zu pflanzlichen Alternativen: Das wachsende Interesse an und der Konsum von pflanzlichen Alternativen zu Fleisch, Milch und Co. deuten ebenfalls auf eine steigende Bereitschaft hin, tierische Produkte zu ersetzen, wenn die Alternativen überzeugend sind.

Wichtige Erkenntnisse aus solchen Umfragen:

  1. Tierwohl als wichtiger Faktor: Tierleid ist für viele Menschen ein relevanter ethischer Aspekt bei der Ernährungswahl.
  2. Bedingungen sind entscheidend: Die Akzeptanz pflanzlicher oder tierleidfreier Optionen steigt signifikant, wenn diese in Bezug auf Geschmack, Preis, Verfügbarkeit und Nährwert mit tierischen Produkten vergleichbar sind.
  3. Vorbehalte bleiben: Trotz der Bereitschaft gibt es weiterhin Vorbehalte, die oft mit Geschmackserwartungen, Gewohnheiten und der wahrgenommenen „Natürlichkeit“ von tierischen Produkten zusammenhängen.

Es ist und bleibt also eine interessante Frage, warum der Anteil der Veganer in Deutschland trotz einer potenziellen grundsätzlichen Präferenz für Tierleidfreiheit relativ gering ist. Neben der „Unmöglichkeit“ des intuitiven Essens – der naürlichsten Form menschlicher Ernährung – kommen noch weiterte potenzielle Erklärungen in Betracht, die dieses Phänomen beleuchten.

Geschmack und Gewohnheit:

  1. Geschmackserwartungen und -präferenzen: Viele Menschen haben über Jahre oder Jahrzehnte hinweg Geschmacksvorlieben für tierische Produkte entwickelt. Der Geschmack von Fleisch, Käse, Milch und Eiern ist tief in der persönlichen und kulturellen Essensgeschichte verankert. Pflanzliche Alternativen können geschmacklich variieren und nicht immer die gleichen sensorischen Erfahrungen bieten.
  2. Gewohnheit und Bequemlichkeit: Die Ernährung mit tierischen Produkten ist für die meisten Menschen in Deutschland die Norm. Rezepte, Essgewohnheiten in der Familie und im Freundeskreis, das Angebot in Supermärkten und Restaurants sind oft darauf ausgerichtet. Eine Umstellung erfordert eine aktive Auseinandersetzung mit neuen Lebensmitteln und Zubereitungsmethoden, was als aufwendig empfunden werden kann.

Soziale und kulturelle Faktoren:

  1. Soziale Normen und Traditionen: Tierische Produkte spielen in vielen traditionellen deutschen Gerichten und Esskulturen eine zentrale Rolle. Gemeinsame Mahlzeiten und Feiern sind oft darauf ausgerichtet. Eine vegane Ernährung kann hier als „anders“ wahrgenommen werden und soziale Anpassungsschwierigkeiten mit sich bringen.
  2. Gruppenzwang und soziale Identität: Die Ernährung ist oft Teil der sozialen Identität. Menschen identifizieren sich mit bestimmten Esskulturen und -gruppen. Eine vegane Ernährung kann bedeuten, sich von diesen Gruppen abzugrenzen.
  3. Mangel an Vorbildern und Information: Obwohl das Bewusstsein wächst, fehlt es möglicherweise noch an ausreichend sichtbaren und positiven Vorbildern im direkten Umfeld, die eine attraktive und unkomplizierte vegane Lebensweise vorleben. Auch die Information über eine ausgewogene vegane Ernährung ist möglicherweise nicht für jeden leicht zugänglich oder verständlich.

Praktische und wirtschaftliche Aspekte:

  1. Wahrgenommener Aufwand und Einschränkungen: Viele Menschen befürchten, dass eine vegane Ernährung mit einem hohen Aufwand für die Planung, den Einkauf und die Zubereitung von Mahlzeiten verbunden ist und zu Einschränkungen bei der Essensauswahl führt (z.B. beim Auswärtsessen).
  2. Kosten: Obwohl pflanzliche Grundnahrungsmittel oft günstig sind, können spezielle vegane Ersatzprodukte teurer sein als ihre tierischen Pendants. Dies kann für Menschen mit einem begrenzten Budget ein Hindernis darstellen.
  3. Verfügbarkeit und Auswahl: Obwohl das Angebot an veganen Produkten stetig wächst, ist es in einigen ländlichen Regionen oder in bestimmten Supermärkten möglicherweise noch begrenzt. Auch die veganen Optionen in Restaurants sind nicht immer vielfältig und ansprechend.

Wissenslücken und Unsicherheiten:

  1. Angst vor Nährstoffmängeln: Viele Menschen sind unsicher, ob eine rein pflanzliche Ernährung alle notwendigen Nährstoffe ausreichend liefern kann und haben Angst vor Mangelerscheinungen. Diese Sorge kann durch unzureichende oder widersprüchliche Informationen verstärkt werden.
  2. Wahrgenommene Komplexität: Die Information über eine vollwertige vegane Ernährung mit potenziell kritischen Nährstoffen (wie Vitamin B12, Eisen, Omega-3-Fettsäuren) kann als komplex und abschreckend empfunden werden.
  3. Desinformation und Vorurteile: Es gibt immer noch Vorurteile und Fehlinformationen über die vegane Ernährung, die in der Bevölkerung verbreitet sind und die Entscheidung für diese Ernährungsweise erschweren können.

Psychologische Faktoren:

  1. Verlustgefühl: Der Verzicht auf liebgewonnene Speisen kann als Verlust empfunden werden und psychologischen Widerstand hervorrufen.
  2. Mangelnde Motivation: Obwohl das ethische Argument des Tierleids für viele nachvollziehbar ist, reicht die persönliche Motivation möglicherweise nicht aus, um tief verwurzelte Essgewohnheiten zu ändern.
  3. Widerstand gegen Veränderung: Generell tun sich viele Menschen schwer mit größeren Veränderungen ihrer Lebensweise, auch wenn sie die potenziellen Vorteile erkennen.

Fazit: Es ist ein komplexes Zusammenspiel dieser verschiedenen Faktoren, das dazu führt, dass der Anteil der Veganer in Deutschland trotz einer möglichen grundsätzlichen Präferenz für Tierleidfreiheit noch relativ gering ist. Die tatsächliche Bereitschaft und die Umsetzung dieser Bereitschaft in konkretes Verhalten werden durch diese vielfältigen Einflüsse geformt. Erst wenn vegane Ernährung absolut intuitiv und „einbußenfrei“ möglich ist, erst dann wird der Anteil signifikant steigen. Und genau das ist die Mammutaufgabe der Ernährungswende. Bis dahin gilt: Gesund essen ist leicht gemacht, wenn Sie diese drei einfachen Regeln beherzigen, die jeder kennen sollte.

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Dieser Beitrag erschien im Original zuerst auf FOCUS online-Experte

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Uwe Knop (*72) ist evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler (Dipl.oec.troph./JLU Gießen), Publizist, Referent und Buchautor (aktuell „ENDLICH RICHTIG ESSEN“ (Aug, 2024)). Seit mehr als 14 Jahren bildet die objektiv-faktenbasierte Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Knop hat den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, worauf er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt – genussvolles Essen zur Lebenserhaltung – vertraut.

Kontakt: Uwe Knop auf LI