TU Berlin: Limoncello muss milchig sein – aber warum ist er das?

Europäische Forschung mit Geschmack: Ein PostDoc der TU Berlin untersucht italienischen Likör in Frankreich.

Nach der Weihnachtsgans, der französischen Foie Gras oder dem italienischen Festtags-Menü schmeckt er besonders gut: Ein eiskalter Limoncello als flüssiger Nachtisch. Der süße, milchig-neongelbe, italienische Likör ist europaweit nicht nur ein beliebter Digestif oder Basis für originelle Cocktails, sondern auch ein Objekt wissenschaftlicher Neugierde: „Uns interessiert vor allem der sogenannte ‚Ouzo-Effekt‘ des Limoncello“, so Dr. Leonardo Chiappisi, PostDoc an der TU Berlin und dem Institut Laue-Langevin (ILL, Frankreich), wo die stärkste Neutronenquelle der Welt beheimatet ist.

„Benannt ist dieser Effekt nach Ouzo, einem Anis-Aperitif, bei dem es sich normalerweise um eine klare Flüssigkeit handelt, die durch Zugabe von Wasser milchig und undurchsichtig wird. Uns interessierten die physikalischen Grundlagen für diese stabile Mischung aus Alkohol, Öl und Wasser“, so der geborene Sizilianer, der gerne bekennt, dass seine Herkunft die Auswahl des Untersuchungsobjektes nicht unwesentlich beeinflusst hat.

„Limoncello ist in ganz Süditalien verbreitet. Viele Italiener stellen den Zitronenlikör selbst her, indem sie Zitronenschalen mehrere Wochen in Alkohol einlegen. Meine Kollegin Dr. Isabelle Grillo vom Institut Laue-Langevin und ich hoffen jetzt, dass unsere Ergebnisse zu diesem italienischen ‚Kulturgut‘ dabei helfen, neue, umweltfreundliche Spezialchemikalien zu entwickeln, die auf Zitrusölen basieren.“

Normalerweise stoßen sich Öl und Wasser ab und müssen durch Zugabe eines Emulgators oder eines Tensids zu einer stabilen Mischung „gezwungen“ werden. Bei Ouzo und ähnlichen Likören hält der Alkohol das Öl und das Wasser jedoch zusammen, solange nur eine bestimmte Menge Wasser dazugegeben wird. „Genau diese Eigenschaft, wasserabweisende Chemikalien in einer Emulsion mit Wasser zu halten, ist für die Spezialchemieindustrie interessant, da man einer solchen Mischung keine Tenside oder Emulgatoren zusetzen muss, die später wieder aufwändig entfernt und entsorgt werden müssen. Somit könnte diese Eigenschaft von Zitrusölen helfen, umweltfreundliche Lösungsmittel, Kunststoffe oder auch Insektenschutzmittel zu entwickeln“, so Leonardo Chiappisi.

Die physikalischen Eigenschaften eines Getränks oder eines Nahrungsmittels beeinflussen seinen Geschmack. So muss ein guter Limoncello milchig sein. Niemals würde es Leonardo Chiappisi einfallen, einen nicht milchigen Limoncello zu trinken. Diese Trübung entsteht aufgrund der Mischung von Zitrusölen, Wasser und Alkohol. Sie setzt sich aber nicht ab, wie man es ansonsten von einer Mischung dieser nicht ineinander lösbaren Komponenten erwarten würde, sondern bleibt dauerhaft erhalten. Dr. Chiappisi entdeckte, dass Limoncello aus winzigen Öltröpfchen mit einem Radius von rund 100 Nanometern besteht, die in einer Alkohol-Wasser-Mischung suspendiert sind.

Der PostDoc an der TU Berlin entschied sich für die sogenannte Neutronenstreuung als Untersuchungsmethode, da dies eine der wenigen Techniken ist, die Strukturen von weichen Materialien in einem Maßstab von einem bis zu hunderten Nanometern auflöst. Dabei wird ein starker Neutronenstrahl auf eine Probe gerichtet. „Der Neutronenstrahl reagiert auf die Anzahl der Neutronen in einem Molekül. Dementsprechend verlässt er die Probe in einem anderen Winkel als er eintritt und ermöglicht uns so zu rekonstruieren, wie die Struktur aussieht.“

Während das Zitronenöl natürlich reich an Wasserstoff ist, dessen Kern keine Neutronen enthält, reicherte das Team das Wasser und den Alkohol (Ethanol) mit Deuterium an – einer Variante (Isotop) von Wasserstoff mit einem zusätzlichen Neutron im Kern, um so zwischen den unterschiedlichen Substanzen differenzieren zu können.

Limoncello wird in der Regel gekühlt serviert und langsam getrunken, so dass er sich nach und nach erwärmt. Daher untersuchte das Team nicht nur, ob sich die physikalischen Eigenschaften des Limoncello bei steigender Temperatur verändern. Parallel dazu experimentierten sie mit unterschiedlichen Zucker- und Wasserbeimengungen.

Zu Leonardo Chiappisis Überraschung beeinflussten weder der Zuckergehalt noch die Temperatur die Mikrostruktur des Limoncello. Anders verhielt es sich beim Verhältnis von Öl zu Wasser: Bei einem Wassergehalt von rund 50 Prozent, wie es einem hochwertigen Limoncello entspricht, sind nur etwa zwei Drittel des Öls in Tröpfchen eingeschlossen. Der Rest des Öls liegt frei vor und kann als Zitronenduft freigesetzt werden, was vermutlich den Geschmack zusätzlich steigert.

Die Frage, wie genau der Alkohol diese winzigen Tröpfchen erzeugt und in Suspension hält, ist noch nicht gelöst. „Das Thema ist komplex, und es wird noch einiges an Forschung brauchen, bis wir das Phänomen verstanden haben. Ein möglicher Faktor: Computersimulationen legen nahe, dass die mit Alkohol angereicherten Öltropfen eine flexible Oberfläche haben, die es ihnen ermöglicht, im Wasser zu ‚wobbeln‘. Aber das ist bislang nur eine Hypothese“, erklärt Leonardo Chiappisi.

In der Zwischenzeit hofft der Physikochemiker, dass die von ihm entdeckten Eigenschaften der Substanzen Zitronenöl, Alkohol und Wasser dazu beitragen, tensidfreie Emulsionen für verschiedene Anwendungen zu entwickeln, von Industriekatalysatoren bis zu natürlichen ätherischen Ölen als Spezialchemikalien.

Link: https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acsomega.8b01858

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Dr. Leonardo Chiappisi
TU Berlin – Fachgebiet Physikalische Chemie / Molekulare Materialwissenschaften
Tel.: +33 476 207953
leonardo.chiappisi@tu-berlin.de

Quelle: Stefanie Terp Stabsstelle Presse, Öffentlichkeitsarbeit und Alumni
Technische Universität Berlin