Was bringen Werbeverbote für Tabak oder Alkohol? Evidenz aus zwei Cochrane-Reviews

Sollte man in Deutschland öffentliche Werbung für Tabak, etwa im Kino oder auf Plakatwänden, verbieten, um insbesondere junge Menschen vor Abhängigkeit zu schützen? Die Frage erhitzt zurzeit erneut die Gemüter. Auch Werbeverbote für Alkohol, E-Zigaretten, Fastfood oder ungesunde Kindernahrungsmittel stehen zur Diskussion. Eine zentrale Frage dabei lautet, wie groß der Effekt von Werbeverboten wirklich ist. Zwei bereits vor einiger Zeit in der Cochrane Library erschienene systematische Übersichtsarbeiten fassen Evidenz zu diesem Thema zusammen und könnten zu einer Versachlichung der Debatte beitragen.

Der Cochrane Review „Impact of tobacco advertising and promotion on increasing adolescent smoking behaviours” („Wirkung von Tabakwerbung auf das Rauchverhalten junger Menschen”) aus dem Jahr 2011 umfasst 19 Studien, an denen insgesamt mehr als 29.000 Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 18 Jahren teilnahmen, die zu Beginn der Untersuchungen nicht rauchten. Die Studien, die zwischen 1983 und 2008 durchgeführt wurden, versuchten auf verschiedenen Wegen zu messen, wie sehr die Teilnehmenden Tabakwerbung ausgesetzt waren oder wie aufnahmebereit sie für die Werbung waren.

In 18 von 19 Studien erwies sich die Wahrscheinlichkeit später zu rauchen bei jenen Teilnehmenden erhöht, die mehr Werbung ausgesetzt waren oder diese bewusster aufgenommen hatten. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Tabakwerbung es wahrscheinlicher macht, dass Jugendliche mit dem Rauchen beginnen.

Aus dem Jahr 2014 stammt der Cochrane Review „Restricting or banning alcohol advertising to reduce alcohol consumption in adults and adolescents“ („Werbebeschränkungen oder ‐verbote für alkoholische Getränke zur Verringerung des Alkoholkonsums von Erwachsenen und Jugendlichen”). Er umfasst lediglich vier Originalstudien, deren Aussagekraft zudem als sehr gering eingestuft wurde. Aufgrund dieser Beschränkungen lasse sich aus der vorhandenen Evidenz kein klarer Effekt von Werbeverboten ableiten, so das Fazit der Autoren.

Beide Cochrane-Reviews diskutieren die erheblichen methodischen Limitationen der zugrundeliegenden Evidenz. Das liegt in der Natur der Sache: Die Auswirkungen von Werbung beziehungsweise Werbeverboten auf das Verhalten von Konsumenten lassen sich nur sehr schwer in einem experimentellen Setting untersuchen. Andererseits fehlt Beobachtungsstudien, die zum Beispiel den Tabakkonsum von Jugendlichen vor und nach der Einführung eines Werbeverbots in einem Land nachverfolgen, zumeist eine Vergleichsgruppe. Das erschwert die kausale Zuordnung zwischen beobachteten Veränderungen (z. B. im Alkoholkonsum) und deren vermuteten Ursachen (z. B. einem Werbeverbot).

Weiterführende Informationen

Beide Reviews warten auf ein Update, das neuere Evidenz berücksichtigt. Nicht von Cochrane aber etwas aktueller ist eine Übersichtsarbeit zum Thema, die 2018 im Journal of Public Health Management and Practice erschien. Sie bewertet die Evidenz für verschiedene politische Maßnahmen gegen Tabakkonsum und kommt zu dem Schluss, dass Werbeverbote für Tabak durchaus wirken und den Anteil von Rauchern in der Bevölkerung in der Größenordnung von fünf Prozent reduzieren könnten. Noch wirksamer wäre demnach eine Erhöhung der Tabaksteuer um 50 Prozent – dies könnte der Studie zufolge den Anteil von Rauchern um fast 20 Prozent verringern.

Über Cochrane

Cochrane ist ein globales, unabhängiges Netzwerk von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Gesundheitsfachleuten, Patientin¬nen und Patienten und anderen Interessierten. Zu seiner Arbeit tragen ca. 11 000 Mitglieder und über 68 000 Unterstützer aus über 130 Ländern bei. Auf strenge wissenschaftliche Methoden gestützt, stellt Cochrane in Form von systematischen Übersichtsarbeiten Gesundheitsinformationen bereit, die zuverlässig und frei von kommerziellen Interessenkonflikten sind.
Jeder Cochrane Review widmet sich einer klar formulierten Fragestellung. Zu deren Beantwortung sucht ein Autorenteam alle vorhandenen Originalstudien, welche die zuvor definierten Einschlusskriterien erfüllen. Anschließend werden die eingeschlossenen Studien bewertet, um zu bestimmen, ob es zuverlässige Evidenz zu einer bestimmten Behandlung, Diagnostik oder vorbeugenden Maßnahme gibt. Wenn möglich, werden die Einzelergebnisse in einer Metaanalyse kombiniert. Cochrane Reviews werden vor der Veröffentlichung im Peer-Review-Verfahren von Fachexperten begutachtet. Über 8000 Reviews sind bisher auf www.cochranelibrary.com zugänglich. Neben dem oft sehr ausführlichen Volltext stehen verschiedene Kurzformate zur Verfügung. Für die klinische Praxis besonders relevante Reviews werden unter „Clinical Answers” in einem Frage-Antwort-Format dargestellt.

Originalpublikation:

Impact of tobacco advertising and promotion on increasing adolescent smoking behaviours.
Cochrane Database Syst Rev. 2011 Oct 5;(10):CD003439. doi: 10.1002/14651858.CD003439.pub2.
https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD003439.pub2/full#

Restricting or banning alcohol advertising to reduce alcohol consumption in adults and adolescents.
Cochrane Database Syst Rev. 2014 Nov 4;(11):CD010704. doi: 10.1002/14651858.CD010704.pub2.
https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD010704.pub2/full

Quelle: Georg Rüschemeyer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Cochrane Deutschland Stiftung (CDS)

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