Studie der Uni Hohenheim zeigt, dass Eiweißzusammensetzung auch von Sorte und Anbauort abhängt. Gehalt potenziell allergener Proteine kann um Faktor 20 schwanken.
Weizen und Dinkel unterscheiden sich deutlich in der Eiweißzusammensetzung im Mehl – so das Ergebnis einer Untersuchung von drei Arbeitsgruppen an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Auch zwischen den einzelnen Sorten innerhalb dieser Arten gibt es große Unterschiede: Der Gehalt potenziell allergener Proteine kann sogar um Faktor 20 schwanken. Der Anbauort spielt ebenfalls eine große Rolle. Das ließe sich nutzen: Proteine, die vor allem von der Sorte abhängen, könnten auch zielgerichtet beeinflusst werden – für bessere Backqualität, aber auch bessere Verträglichkeit. Eine Humanstudie soll hier weiteres Licht ins Dunkel bringen, wofür noch Patienten gesucht werden. Nachzulesen sind die Ergebnisse jetzt in Scientific Reports: https://doi.org/10.1038/s41598-020-71712-5
Immer öfter klagen Verbraucher über gesundheitliche Probleme nach dem Verzehr von Weizenmehlprodukten. Dabei ist die Bandbreite an Symptomen groß: Von Kopfschmerzen über Bauchschmerzen, Durchfall und Erbrechen bis hin zu Neurodermitis und Depressionen. Beim Verzehr von Dinkelmehlprodukten scheinen diese Beschwerden bei manchen Patienten nicht aufzutreten. Andere Verbraucher vertragen nach eigener Aussage nur manche Weizenprodukte von speziellen Bäckern.
Obwohl in mehreren Studien zahlreiche Inhaltsstoffe von Dinkel mit denen des Brotweizens verglichen wurden, fehlt immer noch eine klare wissenschaftliche Erklärung für dieses Phänomen, denn Brotweizen (Triticum aestivum ssp. aestivum) und Dinkel (Triticum aestivum ssp. spelta) sind eng miteinander verwandt.
Eine Forschungsgruppe der Universität Hohenheim versucht in einem größeren Projekt möglichen Ursachen nun auf die Spur zu kommen. „Eine Rolle könnten möglicherweise manche im Mehl bzw. im Brot enthaltenen Proteine spielen“, erklärt Prof. Dr. med. Stephan C. Bischoff vom Institut für Ernährungsmedizin. „Einige wenige Menschen leiden unter Zöliakie oder allergischen Reaktionen nach dem Verzehr von Weizen. Sie müssen Weizen tatsächlich komplett meiden. Und beide Krankheitsbilder werden durch verschiedene Proteine ausgelöst. Der Auslöser der Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität (NCWS) dagegen ist noch nicht geklärt, doch man hat auch hier Proteine in Verdacht.“
Bei Dinkel und Weizen, die botanisch zur selben Art gehören, gibt es jeweils Dutzende verschiedener Sorten, die sich erheblich in ihren Eigenschaften unterscheiden. „Deswegen haben wir unser Forschungsprojekt auf drei Säulen aufgebaut“, erläutert apl. Prof. Dr. Friedrich Longin vom Arbeitsgebiet Weizen an der Landessaatzuchtanstalt. „Zunächst untersuchen wir die Proteine in verschiedenen Weizen- und Dinkelsorten, dann deren Veränderungen während der Brotherstellung, und schließlich bewerten wir die Auswirkungen in einer Humanstudie.“ Bisher liegen die Ergebnisse zur ersten Teilstudie vor.
Hunderte Proteine unterscheiden sich zwischen den Sorten und Arten
Für diese Untersuchungen haben die Forscher je 15 Sorten von Weizen und Dinkel, die aktuell für die Produktion von Dinkel und Brotweizen in Deutschland repräsentativ sind, an jeweils drei Standorten in Deutschland und in Frankreich angebaut und das daraus hergestellte Mehl analysiert.
„Dies geschieht mit modernen Analysemethoden mittels Massenspektrometrie, bei der wir die genaue Masse von Molekülen ermitteln und sie so bestimmen. Mit diesen Methoden ist es inzwischen möglich, in einer einzigen Analyse mehrere tausend Proteine in einem Organismus zu erfassen“, erklärt Dr. Jens Pfannstiel vom Modul Massenspektrometrie in der Core Facility Hohenheim (CFH). Eine essenzielle Voraussetzung für diese Methodik ist aber, dass es Datenbanken mit den Proteinsequenzen – den Grundstrukturen der Proteine – geben muss, mit denen man die massenspektrometrischen Analysedaten abgleichen kann.
Diese sind zwar für Weizen vollständig vorhanden, aber für Dinkel gibt es bislang nur wenige Sequenzdaten. „Daher waren wir anfangs sehr skeptisch, ob wir in den Dinkelproben überhaupt in großem Umfang Proteine identifizieren können. Zu unserer Überraschung erwiesen sich die Proteinsequenzen bei Weizen und Dinkel als sehr ähnlich, da sie eng verwandt sind. Das konnten wir nutzen, um mit Hilfe der Weizen-Datenbank Proteine in den Dinkelproben zu identifizieren“, sagt Dr. Pfannstiel.
„Nach unserem Kenntnisstand wurde diese Methodik jetzt zum ersten Mal in großem Umfang zur Untersuchung der Proteine von Dinkel eingesetzt.“ Insgesamt konnten die Forscher so 3.050 Proteine in Dinkel bzw. 2.770 in Brotweizen nachweisen. „Erstaunlich war, dass rund ein Drittel aller Proteine sich bei Weizen und Dinkel in ihrer Expression signifikant unterscheiden.“
Auch Standort und Sorte sind für die Proteinbildung entscheidend
„Doch am meisten hat uns der große Umwelteinfluss überrascht“, führt apl. Prof. Dr. Longin weiter aus. „Für rund die Hälfte aller gebildeten Proteine ist der Anbauort prägend. Das bedeutet aber auch, dass man diese Proteine nicht zielgerichtet beeinflussen kann.“
Zudem unterscheiden sich die untersuchten Sorten innerhalb der Unterarten Dinkel und Weizen auch stark in ihrem Proteinmuster: So waren zwei Drittel der Proteine, deren Bildung von der Umwelt unabhängig war, nur in einigen, aber nicht in allen Sorten vorhanden und kamen darüber hinaus in unterschiedlichen Mengen vor. „Diese Proteine wiederum sind sehr interessant, da sie über die Auswahl der Sorte beeinflusst werden können.“
Allergenindex: Potenziell allergische Proteine unterscheiden sich je nach Sorte stark
Darauf aufbauend haben die Forscher für die getesteten Sorten einen „Allergenindex“ berechnet. Hierzu wurden 22 Proteine ausgesucht, die als mögliche Auslöser von Weizenallergie, Bäckerasthma und Weizensensitivität diskutiert werden. Sowohl beim Dinkel als auch beim Weizen konnten die Forscher eine sehr große Schwankungsbreite zwischen den Sorten beobachten: Der Gehalt an potenziell allergenen Proteinen kann sich bei den verschiedenen Sorten um das 20-Fache unterscheiden.
„Bei der Auswahl des Mehls liegt der Fokus heute vor allem auf der Backqualität“, sagt apl. Prof. Dr. Longin. „Größtenteils wissen die Bäcker gar nicht, welche Sorte sie gerade verwenden. Dabei gäbe es die Möglichkeit, die Proteinzusammensetzung und somit Qualität und Verträglichkeit von Weizenprodukten durch die Auswahl geeigneter Sorten zu beeinflussen. Allerdings muss dazu die Messtechnik einfacher und schneller werden“.
Vor allem was die Überempfindlichkeitsreaktionen betrifft, sieht Prof. Dr. Bischoff noch viel Forschungsbedarf: „Unsere Daten können lediglich als Ausgangspunkt für zukünftige Forschungen dienen.“ So soll nun die Brotherstellung genauer unter die Lupe genommen werden. „Zudem suchen wir noch dringend Patienten für unsere Humanstudie, die bei Weizenverzehr Krankheitssymptome verspüren, bei Dinkelkonsum aber nicht“, schließt Prof. Dr. Bischoff.
Interessenten für die Patientenstudie melden sich bitte bei: Brotstudie180a@uni-hohenheim.de
Zum Projekt
Titel: Ursachen der Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität (AiF 2073/62 N),
Laufzeit: 2019 – 2021, Förderung durch BMWi via AiF/FEI
Publikation:
Afzal, M., Pfannstiel, J., Zimmermann, J., Bischoff, S.C., Würschum, T., Longin, C.F.H., 2020. High-resolution proteomics reveals differences in the proteome of spelt and bread wheat flour representing targets for research on wheat sensitivities. Scientific Reports 10, 14677. doi.org/10.1038/s41598-020-71712-5
Kontakt für Medien:
Apl. Prof. Dr. Friedrich Longin, Universität Hohenheim, Landessaatzuchtanstalt, Arbeitsgebiet Weizen
T +49 (0)711 459 23846, E friedrich.longin@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. med. Stephan C. Bischoff, Universität Hohenheim, Institut für Ernährungsmedizin
T +49 (0)711 459 24101, E bischoff.stephan@uni-hohenheim.de
Dr. Jens Pfannstiel, Universität Hohenheim, Core Facility Hohenheim (CFH) – Modul Massenspektrometrie
T +49 (0)711 459 24212, E jens.pfannstiel@uni-hohenheim.de
Text: Stuhlemmer
Quelle: Universität Hohenheim