Europäische Kommission ebnet den Weg für neue GVOs

Die Europäische Kommission macht einen Rückzieher und öffnet sich der Deregulierung neuer GVOs. Damit wird die Wahlfreiheit der Bürger und Landwirte gefährdet. Slow Food ist äußerst besorgt über die Schlussfolgerungen der Europäischen Kommission aus der Studie über „Neue Gentechnik”, die der Deregulierung neuer GVOs den Weg ebnen und das Vorsorgeprinzip missachten.

„Die Europäische Kommission hat sich mit dem europäischen Grünen Deal und der Strategie „Vom Hof auf den Tisch” dazu verpflichtet, den Übergang zu einem wirklich nachhaltigen Lebensmittelsystem zu beschleunigen.  Durch den Vorschlag, die EU-Vorschriften zu gentechnisch veränderten Organismen (GVOs) zu überarbeiten, zeigt die Kommission, dass sie weiter dem technokratischen Modell nacheifert, statt in Agrarökologie zu investieren und diese zu fördern, die sowohl den Bauern als auch den lokalen Gemeinschaften und der Umwelt im Allgemeinen zu Gute kommt“, so Marta Messa, Leiterin des Europabüros von Slow Food.

Die Position von Slow Food

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Juli 2018 klargestellt, dass auch neue Gentechnikverfahren Gen­technik im Sinne des europäischen Gentechnikrechts sind. „Deshalb müssen gemäß dem EU-­rechtlich veran­kerten Vorsorgeprinzip Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und menschlicher Gesundheit ergriffen werden.” Die Europäische Kommission stellt diesen Beschluss nun ernsthaft in Frage.  Wenn die Verpflichtung für Sicherheitskontrollen, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung für neue GVOs nicht mehr gelten würde, wäre das eine negative Entwicklung für die europäischen Bürger, da neue GV-Produkte unbemerkt und ohne Kennzeichnung ihren Weg auf die Esstische finden könnten. Auch für Bauern und Viehzüchter entstünden Nachteile, da es zunehmend schwieriger und kostspieliger würde, sicherzustellen, dass die Lebensmittel keine neuen GVOs enthalten.

  • Neue GVOs beinhalten zahlreiche Risiken für die Gesundheit von Menschen, Tieren und der Umwelt sowie für die Ernährungssouveränität von Kleinbauern. Ohne eine strikte Regulierung könnte Folgendes passieren:
  • Neue GVOs müssten keine Zulassungsverfahren mit um­fassender Risikoprüfung mehr durchlaufen, wodurch nicht sichere Produkte ihren Weg in die Supermärkte der EU finden würden.
  • Es gäbe keine Daten mehr, um die neuen GVOs und GV-Produkte auf dem Markt rückzuverfolgen, da sie nicht länger kennzeichnungspflichtig wären.

Es könnten schwere Schäden für die Ökosysteme und die Biodiversität auftreten, da man keine Maßnahmen mehr gegen die unkontrollierte Ausbreitung neuer GVOs in der Umwelt ergreifen könnte. Die Landwirtschaft und die Lebensmittelherstellung, die auf GVO-freie Quellen angewiesen sind, könnten nicht mehr geschützt werden.

„Die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ zielt darauf ab, den Konsumenten umfassendere Informationen bereitzustellen, damit Bürger gut informierte Entscheidungen treffen und damit zum Übergang zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem beitragen können. Eine Deregulierung neuer GVOs würde bedeuten, dass diese nicht länger kennzeichnungspflichtig wären, was im krassen Widerspruch zu den Zielen der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ stehen würde. Wir fordern die Mitgliedsstaaten eindringlich auf, das Vorsorgeprinzip, die Sicherheit der Bürger die Wahlfreiheit der Bauern und die Biodiversität zu verteidigen”, schließt Messa.

Hintergrund

Seit der Einführung der ersten gentechnisch veränderten (GV) Nutzpflanzen vor über 20 Jahren hat sich die Gentechnik weiterentwickelt. Eine Reihe neuer gentechnischer Verfahren entstand, die Wissenschaftler unter dem Begriff „Genom-Editing“  summieren. Genom-Editing ermöglicht es den Gentechnikern, bestehendes Erbgut zu verändern, statt Gene einer anderen Spezies hinzuzufügen.  Diese neuen Verfahren werden auch als „Neue Züchtungsverfahren” (Agrar-Biotechnologie), „neuartige genomische Verfahren” (EU-Rat) oder „neue Gentechnik“ (Europäische Kommission) bezeichnet. Slow Food nennt diese neuen Gentechnikverfahren „Neues GVOs”, da sie laut dem Urteil des EuGH in rechtlicher und technischer Hinsicht Gentechnikverfahren sind und daher die gleichen Risiken wie herkömmliche Gentechnik beinhalten.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Juli 2018 klargestellt, dass auch neue Gentechnikverfahren Gen­technik im Sinne des europäischen Gentechnikrechts sind. Deshalb muss das EU­-rechtlich veran­kerte Vorsorgeprinzip umgesetzt werden. Das Urteil besagt,  dass auch mit neuen Gentechniken veränderte Organismen und Saatgut vor Markteintritt weiterhin Zulassungsverfahren mit um­fassender Risikoprüfung durchlaufen und entsprechend gekennzeichnet werden müssen, um das Recht von Bauern, Lebensmittelherstellern und Konsumenten zu wahren, darüber Bescheid zu wissen, ob ein Lebensmittel GVOs enthält oder nicht.

Slow Food setzt sich seit langem entschieden gegen GVOs ein, da sie eine Gefahr für die Biodiversität darstellen, die Existenz von Kleinbauern bedrohen und dem Prinzip der agrarökologischen Landwirtschaft entgegenstehen. Darüber hinaus sind durch Gentechnik hergestellte Produkte oft durch Patente geschützt, die einigen wenigen multinationalen Konzernen gehören. Patente auf Saatgut haben negative wirtschaftliche Folgen für den Agrarsektor, einschließlich der Monopolisierung und Konzentration des Saatgutmarktes. GV-Landwirtschaft fördert die Entwicklung intensiver Monokulturen und stellt in steigendem Maß eine Bedrohung für das Überleben des traditionellen Saatguts und der ländlichen Gemeinschaften dar, die zunehmend ihrer Produktionsmittel und ihrer Lebensgrundlage beraubt werden.

Die EU muss das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2018 voll und ganz umsetzen und sicherstellen, dass auch neue GVOs grundlegenden Sicherheitsprüfungen durchlaufen und Zulassungsanforderungen einhalten. Dazu wurde am 30. März 2021 ein Brief an den Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Timmermans gesendet, in dem unter anderem vor den Risiken einer Deregulierung der neuen GVOs gewarnt wird.

Was besagt die Studie der Kommission?

Die Europäische Kommission hat heute ihre lang erwartete Studie zur neuen Gentechnik veröffentlicht, die der EU-Rat im November 2019 in Auftrag gegeben hatte. Die Studie kommt zu folgenden Schlussfolgerungen:

  • „Neue Gentechnik (New Genomic Techniques, GNT) und ihre Anwendung bergen das Potenzial, zu einem resilienten und nachhaltigen Lebensmittelsystem für die Gesellschaft der EU beizutragen und können so eine Antwort auf einige der großen Herausforderungen bieten”
  • Damit neue GVOs zur Nachhaltigkeit des Lebensmittelsystems beitragen können, „muss ein angemessener Mechanismus zum Tragen kommen, um ihren Nutzen zu bewerten”
  • Das derzeit geltende GVO-Recht der EU ist dafür nicht zweckmäßig.

Die Studie kommt weiterhin zu dem Schluss, dass ein neuer Rechtsrahmen zur Regulierung der neuen GVOs erforderlich sei. Das ist zutiefst beunruhigend, da es darauf hindeutet, dass die Kommission versucht, die derzeitigen Vorschriften zur Regulierung von GVOs und zum Genom-Editing aufzuweichen. Die für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides sagte, dass „neuartige genomische Verfahren die Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Erzeugung im Einklang mit den Zielen unserer Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ fördern können.”

Paola Nano – p.nano@slowfood.it (+39) 329 8321285
Alessia Pautasso – a.pautasso@slowfood.it (+39) 342 8641029

Quelle: Slow Food International Press Office