Noch hält die EU daran fest: Auch neue Züchtungsverfahren wie die Gen-Schere CRISPR/Cas sind Gentechnik – ohne Ausnahme. Das soll sich nun ändern.
Mitte 2023 werden in Brüssel die politischen Beratungen darüber beginnen. Was dabei am Ende herauskommt, ist nicht absehbar. Doch zahlreiche Länder auf allen Kontinenten haben es bereits vorgemacht und die Auflagen für einfache genom-editierten Pflanzen gelockert oder sie sogar ganz freigegeben. Auch die europäischen Nachbarn Großbritannien und Schweiz wollen solche Pflanzen aus dem geltenden Gentechnik-Recht herauslösen. (Mit einer Länderübersicht zu (De-) Regulierung von genom-editierten Pflanzen.)
Großbritannien hat bereits einen neuen Kurs eingeschlagen und nutzt dafür die Freiheiten, die sich mit dem EU-Austritt eröffnet haben. In einem ersten Schritt beschloss das Parlament, dass künftig Freilandversuche mit einfachen genome-editierten Pflanzen nicht mehr in einem aufwändigen Verfahren beantragt und genehmigt werden müssen. Nun reicht eine einfache Anmeldung. Neue Regeln für Zulassung und Anbau sollen bis 2024 folgen. Damit will die britische Regierung die Erforschung und Entwicklung neuer Pflanzen fördern, die etwa „den Einsatz von Pestiziden und Herbiziden deutlich reduzieren“ und sie „gegen schwierige Witterungsbedingungen und den Klimawandel widerstandsfähiger machen“.
Auch das Schweizer Parlament beschloss im März 2022 überraschend eine Abkehr vom restriktiven Kurs. Genom-editierte Pflanzen – sofern kein neues Erbmaterial eingefügt wurde – sollen nicht mehr ausnahmslos dem Gentechnik-Recht unterworfen werden und auch nicht unter das weiterhin geltende Anbau- und Nutzungsverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen fallen. 2005 wurde ein solches Moratorium in einer Volksabstimmung beschlossen und seitdem alle vier Jahre immer wieder verlängert, gerade noch einmal bis 2025. Dieser „radikale Meinungswechsel“ (NZZ) in beiden Kammern des Schweizer Parlaments ist auch Ausdruck eines veränderten Meinungsklimas. Es wachse eine neue Generation von Konsumentinnen heran, die nachweislich offener sei für „innovative Lösungen in der Landwirtschaft“, zitiert die NZZ eine aktuelle Studie der ETH Zürich.
Doch nicht nur die europäischen Nachbarn der EU haben alte, wissenschaftlich überholte Positionen aufgegeben. Zahlreiche Länder – darunter die großen Agrarexporteure in Süd- und Nordamerika, aber auch zahlreiche asiatische – haben inzwischen die Regeln für Zulassung und Anbau genom-editierter Pflanzen angepasst. Diese werden nicht mehr pauschal den Gesetzen unterworfen, die seit vielen Jahren für gentechnisch veränderte Pflanzen gelten. Im Kern orientieren sich dabei fast alle Länder am breiten wissenschaftlichen Konsens, wie er sich in den letzten Jahren herausgebildet hat.
- Ist in einer genom-editierten Pflanze keine Fremd-DNA vorhanden und hätte sie auch unter natürlichen Bedingungen durch zufällige Mutationentstehen können, ist sie eher wie eine klassisch gezüchtete Pflanze zu bewerten. Besondere Risiken, die mit den neuen Verfahren verbunden sind, gibt es danach nicht.
- Sind jedoch mit Hilfe von Genome Editing-Verfahren neue Gene oder größere DNA-Abschnitte ins Genom eingefügt worden, gelten solche Pflanzen in der Regel als GVO und fallen unter die Gentechnik-Gesetze. Sie müssen den gleichen Sicherheitsanforderungen genügen und die gleichen Zulassungs- und Kennzeichnungsauflagen erfüllen.
Einige Länder haben editierte Pflanzen ohne neu eingeführtes Gen-Material ganz frei gegeben, die meisten haben sich für ein Fall-zu-Fall-Verfahren entschieden: Forschungsinstitute oder Unternehmen, die eine genom-editierte Pflanze im Freiland testen oder sie als Saatgut auf den Markt bringen wollen, müssen gegenüber den Zulassungsbehörden darlegen, ob die Voraussetzungen für eine Deregulierung zutreffen (siehe Tabelle unten).
Nach Nigeria hat Kenia als zweites afrikanisches Land eigene Richtlinien für genom-editierte Pflanzen in Kraft gesetzt. Auch hier soll fallweise entschieden werden, ob eine neu entwickelte genom-editierte Pflanzen freigegeben wird oder besonderen Auflagen unterliegt. In Kenia laufen einige Forschungsprojekte zu regional wichtigen Kulturpflanzen wie Sorghum (Hirse), Bananen oder Mais. Ziele sind Resistenzen gegen ortstypische Krankheiten und Schädlinge sowie eine verbesserte Dürretoleranz.
Und die EU? Seit dem denkwürdigen Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH), das pauschal alle genom-editierten Pflanzen den 25 Jahre alten Gentechnik-Vorschriften unterwirft, sind inzwischen mehr als vier Jahre vergangen. Nach langem Zögern hat die EU-Kommission inzwischen endlich einen mehrstufigen Beratungsprozess in Gang gesetzt mit dem Ziel, die Gentechnik-Gesetze „an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt anzupassen“ und so „Innovationen in der Landwirtschaft zu ermöglichen“. Mitte 2023 will die Kommission ihren Vorschlag präsentieren. Dann folgen noch komplizierte, sicherlich kontroverse Beratungen in Parlament und Ministerrat. Es wird wohl noch Jahre dauern, bis die EU zu einem angemessenen Umgang mit genom-editierten Pflanzen kommt.
Viele Länder außerhalb der EU werden dann bereits viele Erfahrungen gewonnen haben, ob und wie ein einfacherer Umgang mit den neuen Züchtungstechniken Innovationen fördert und zu einer nachhaltigen Landwirtschaft beitragen kann.
Länderübersicht: (De-) Regulierung von genom-editierten Pflanzen (Stand: Februar 2023)
Europa (nicht-EU) | Großbritannien | Bei Freilandversuchen sind GE-Pflanzen von den GVO-Regeln ausgenommen. Umfassende Regelung für Anbau und Zulassung von GE-Pflanzen bis 2024. | |
Schweiz | GE-Pflanzen sollen künftig nicht mehr unter GVO-Verbot fallen. | ||
Norwegen | Fallweise Regulierung für GE-Pflanzen in Vorbereitung. | ||
Russland | GE-Pflanzen sind konventionellen gleichgestellt. (Dekret des Präsidenten, 2019) | ||
Nord- und Südamerika | USA | GE-Pflanzen sind konventionell gezüchteten Pflanzen gleichgesetzt. | |
Kanada | GE-Pflanzen sind frei, sofern sie keine neuartigen Merkmale besitzen. | ||
Brasilien, Argentinien, Chile, Equador, Kolumbien, Paraguay, Honduras, Guatemala | GE-Pflanzen sind von den GVO-Regeln ausgenommen. Fallweise Überprüfung der Voraussetzungen. | ||
Asien | China | Spezifische Regeln für die Zulassung von GE-Pflanzen. | |
Indien | GE-Pflanzen sind von GVO-Regeln ausgenommen, wenn nachweislich transgen-frei. | ||
Philippinen | GE-Pflanzen sind von GVO-Regeln ausgenommen. Produkte werden nach Überprüfung zertifiziert. | ||
Indonesien | GE-Pflanzen sind von GVO-Regeln ausgenommen, wenn sie keine Fremd-DNA enthalten. | ||
Japan | GE-Pflanzen der Kategorie SDN-1 sind von GVO-Regeln ausgenommen. Registrierung erforderlich. | ||
Südkorea | GE-Pflanzen, in die kein Fremd-Gen eingefügt wurden, sind von GVO-Regeln ausgenommen. (vorläufige Regelung, 2021) | ||
Afrika | Nigeria, Kenia | GE-Pflanzen sind von den GVO-Regeln ausgenommen. Fallweise Überprüfung der Voraussetzungen. | |
Australien | Australien | GE-Pflanzen der Kategorie SDN-1 sind von GVO-Regeln ausgenommen. |
Als GE-Pflanzen werden in der Tabelle genom-editierte Pflanzen bezeichnet, die mit neuen Züchtungsverfahren der Kategorien SDN-1 und SDN-2 (Site-Directed Nuclease) entwickelt wurden.
SDN-1: Zunächst wird ein zielgerichteter Bruch des DNA-Doppelstrangs herbeigeführt. Bei der anschließender Reparatur der Bruchstelle sind zufällige Mutationen oder Sequenzverluste (Deletionen) möglich.
SDN-2: In die Zelle wird eine kleine DNA-Sequenz eingeführt, die der Zielsequenz bis auf die gewünschte Veränderung genau entspricht. Bei der Reparatur der Bruchstelle dient sie als Vorlage und wird in die Ziel-DNA eingefügt. Wie bei SDN-1 sind die damit erzeugten Pflanzen transgen-frei.
SDN-3: An der Bruchstelle werden neue Gene oder größere DNA-Sequenzen eingefügt. Solche Pflanzen werden weiterhin als GVO angesehen und den Gentechnik-Gesetzen unterworfen.
Tabelle nach: Buchholzer/Frommer (2022); Sprink et al (2022); siehe: Im Web)
Quelle: transGEN