Stumpfes Schwert gegen Lebensmittelverschwendung

Bündnis Lebensmittelrettung fordert verpflichtende Vorgaben für den Handel statt freiwilliger Selbstverpflichtung.

  • Neue freiwillige Zielvereinbarung zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung zwischen Landwirtschaftsministerium und Lebensmittelhändlern greift zu kurz
  • Keine Sanktionsmöglichkeiten, vorgelagerte Lieferkette des Handels (Lebensmittelproduktion und -verarbeitung) nicht berücksichtigt und fehlende Beteiligung lebensmittelrettender Akteure
  • Bündnis Lebensmittelrettung begrüßt Reduktionsziele von 30 Prozent bis 2025 und 50 Prozent bis 2030, plädiert aber für rechtliche Verbindlichkeit

Mit einer freiwilligen Zielvereinbarung zwischen Lebensmittelhändlern und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) verpflichten sich 14 Unternehmen des Groß- und Einzelhandels ab sofort, die Verschwendung von Lebensmitteln bis 2025 um 30 Prozent und bis 2030 um 50 Prozent im Vergleich zu einem selbstgewählten Basisjahr zu reduzieren. Das Bündnis Lebensmittelrettung begrüßt die Zielvorgaben, bewertet die freiwillige Selbstverpflichtung jedoch als stumpfes Schwert ohne rechtliche Sanktionsmöglichkeiten.

Das Bündnis fordert von der Bundesregierung rechtlich verpflichtende Maßnahmen zur Halbierung der Lebensmittelverschwendung bis 2030, die entlang der gesamten Lieferkette greifen. Ein Blick auf andere Länder zeigt, dass freiwillige Zielvereinbarungen nicht zu notwendigen Veränderungen führen und mit regulatorischen Maßnahmen nachgeschärft werden müssen. Zudem kann nur eine umfangreiche Berichterstattung der einzelnen Unternehmen zu ausreichend Transparenz mit Blick auf Lebensmittelabfälle führen.

Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Der Lebensmittelhandel und die Bundesregierung haben eine freiwillige Selbstverpflichtung vereinbart, die nur auf dem Papier gut aussieht. Anstatt die vorgelagerte Lieferkette des Handels in den Blick zu nehmen, bleiben Produktion und Verarbeitung komplett ohne Reduktionsvorgaben. Der Handel kann also weiterhin seine Vormachtstellung ausnutzen, um die von ihm verursachte Lebensmittelverschwendung durch Handelsstandards auf den Rest der Lieferkette zu verlagern. Minister Cem Özdemir muss endlich der gesamten Lieferkette gesetzlich verbindliche Vorgaben gegen Lebensmittelverschwendung machen.“

Frank Bowinkelmann, Vorsitzender von foodsharing: „So erfreulich es ist, dass sich der Groß- und Einzelhandel nach jahrelangen Verzögerungen endlich zu einer Reihe von Maßnahmen zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung verpflichtet hat, so unverständlich bleibt es, dass Lebensmittelretter-Organisationen wie beispielsweise foodsharing oder die Tafeln bei den Verhandlungen über geeignete Maßnahmen nicht einbezogen wurden. Sie müssen schließlich die überproduzierten Lebensmittel retten und verteilen. Aber weder der Handel noch die Regierung haben gefragt, wie das praktisch umgesetzt und finanziert werden kann.“

Elisa Kollenda, Referentin Nachhaltige Ernährung und ökologischer Fußabdruck beim WWF Deutschland: „Es ist begrüßenswert, dass sich die größten Handelsunternehmen in Deutschland zur Halbierung der Verschwendung bis 2030 bekennen. Gleichzeitig steht hinter der Vereinbarung wenig Verbindlichkeit. In Zukunft brauchen wir, wie es bereits etwa in Österreich der Fall ist, eine für die Öffentlichkeit detailliert einsehbare Berichtspflicht pro Unternehmen. Die anonymisierte Berichterstattung über die Verschwendung in den Märkten ist ein guter Schritt, aber reicht nicht aus, um die gesamten Abfälle entlang der Lieferkette transparent zu machen und zu reduzieren.“

Hintergrund

Mit dem Dialogforum Groß- und Einzelhandel kommt das letzte der fünf Dialogforen zum Abschluss. Dabei ist es besonders bedauerlich, dass die Dialogforen Verarbeitung und Primärproduktion keine Vereinbarung erreicht haben. Die Bundesregierung hatte sich bereits Anfang 2019 mit der „Nationalen Strategie gegen Lebensmittelverschwendung“ zur Halbierung der Lebensmittelverschwendung bis 2030 im Handel bekannt. Die Zielvereinbarung mit dem Handel ist der erste politische Schritt zur Umsetzung dieses Ziels.

Weltweit wird nach Angaben der Vereinten Nationen über ein Drittel aller Lebensmittel verschwendet oder geht verloren. In Deutschland sind das – ohne nicht erfasste Vorernteverluste – laut WWF mindestens 18 Millionen Tonnen pro Jahr. Dies hat schwerwiegende Folgen für die Umwelt. Die Vergeudung wertvoller Ressourcen, wie Wasser, Boden und Energie für Anbau und Weiterverarbeitung dieser Lebensmittel, ebenso wie der Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden, belasten die planetaren Grenzen. Denn Lebensmittelverschwendung ist für 10 Prozent aller globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich und damit einer der Haupttreiber der globalen Klimakrise. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen könnten von den verschwendeten Lebensmitteln 2 Milliarden Menschen ernährt werden – mehr als die doppelte Menge der laut Welthungerhilfe 828 Millionen Menschen, die derzeit an Hunger leiden. Mit jedem weggeworfenen Lebensmittel landet zudem bares Geld in der Tonne.

Über das Bündnis Lebensmittelrettung

Das Bündnis Lebensmittelrettung ist ein Zusammenschluss aus Initiativen, Organisationen, Vereinen und Unternehmen, mit dem gemeinsamen Ziel, Lebensmittelverschwendung entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu reduzieren. Zu den wichtigsten vom Bündnis geforderten Maßnahmen gehören verbindliche und messbare Reduktionsziele für alle Branchen, Rechtssicherheit für Lebensmittelrettung, eine klare Hierarchie zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung sowie der Verzicht auf verschwenderische Handelspraktiken, wie ästhetische Standards für Obst und Gemüse. Zudem müssen die Wertschätzung von Lebensmitteln mit Bildungsmaßnahmen sowie eine grundlegend verbesserte Datenlage gefördert werden. Zu den Mitgliedern des Bündnisses zählen die Deutsche Umwelthilfe, Farm Food Climate, foodsharing, Querfeld, RESTLOS GLÜCKLICH, SIRPLUS, Too Good To Go und der WWF.

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Quelle: DUH