USA geben kultiviertes Fleisch für den Verkauf frei

Ein Weckruf für Deutschland und Europa.

  • Nach der Zulassung durch die US-Behörden können amerikanische Verbraucher bald kultiviertes Fleisch der Unternehmen UPSIDE Foods und GOOD Meat kaufen.
  • Durch diese neue Art der Fleischerzeugung könnten die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu Fleisch aus der Tierhaltung um bis zu 92 % reduziert werden.
  • Regierungen in Deutschland und Europa müssen in Forschung und Entwicklung investieren und verlässliche Zulassungsverfahren sicherstellen, damit Europa bei der Zellkultivierung nicht weiter zurückfällt.

Die Regulierungsbehörden in den Vereinigten Staaten haben den Verkauf von zwei kultivierten Fleischprodukten zugelassen, so dass die Verbraucher in den USA nun Zugang zu diesen nachhaltig hergestellten Fleischprodukten haben.

Das Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten hat den Unternehmen UPSIDE Foods und GOOD Meat die Zulassung erteilt. Das bedeutet, dass ihre Produktionsanlagen die gesetzlichen Normen erfüllen und ihre Produkte nun in den Vereinigten Staaten verkauft werden können. Dies war der letzte Schritt im behördlichen Zulassungsverfahren, nachdem vorher bereits die Behörde FDA die Sicherheit der Produkte für den menschlichen Verzehr bescheinigt hatte. Damit sind die USA das zweite Land nach Singapur, in dem kultiviertes Fleisch für den Verkauf freigegeben ist.

Der internationale Think Tank The Good Food Institute Europe begrüßt diesen Schritt, weißt jedoch darauf hin, dass noch großer Handlungsbedarf besteht, damit die Vorteile von kultiviertem Fleisch für den Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz auch in Deutschland und Europa gehoben werden können.

Grundsätzlich hat Deutschland alle Voraussetzungen, um im Bereich Zellkultivierung zu einem globalen Innovationsführer zu werden: eine exzellente Forschungslandschaft mit erstklassigen Hochschulen und weltweit einzigartigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie eine Reihe von vielversprechenden Startups und etablierten Unternehmen aus Lebensmittelwirtschaft und Industrie, die bereits in dem Bereich aktiv sind.

Doch trotz bester Voraussetzungen droht Deutschland den Anschluss bei dieser Zukunftstechnologie zu verlieren. In den vergangenen zwei Jahren wurden weltweit rund 2 Milliarden Euro in Startups für kultiviertes Fleisch investiert. Auf Deutschland entfielen davon rund 10 Millionen Euro, also etwa 0,5 Prozent der privaten Investitionen in diesem Bereich. Dabei zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, dass sich das wirtschaftliche und wissenschaftliche Ökosystem für kultiviertes Fleisch dort am Besten entwickelt, wo die Politik den Bereich mit öffentlichen Investitionen aktiv entwickelt.

Bruce Friedrich, Präsident des Good Food Institute: „Die weltweite Nachfrage nach Fleisch wird sich bis 2050 voraussichtlich verdoppeln. Bahnbrechende Innovationen wie kultiviertes Fleisch ermöglichen es der Welt, die Proteinproduktion zu diversifizieren und gleichzeitig die Emissionen zu senken, die Ernährungssicherheit zu erhöhen, die Risiken für die öffentliche Gesundheit zu verringern und Land für die Renaturierung freizumachen. Die Umstellung auf kultiviertes Fleisch und andere alternative Proteine ist genauso wichtig wie der Übergang zu Erneuerbaren Energien. Und genau wie bei den Erneuerbaren Energien sind massive öffentliche Investitionen der Schlüssel dazu, dass diese neuen nachhaltigen Lebensmittel die Breite der Gesellschaft erreichen und neue zukunftsfeste Arbeitsplätze schaffen.”

Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager beim Good Food Institute Europe: „Deutschland und Europa drohen im globalen Rennen um Innovationen für ein nachhaltiges Ernährungssystem zurückzufallen. Die amerikanischen Verbraucher werden bald echtes Hühnerfleisch auf Basis von Zellen probieren können. Wenn wir nicht aufpassen, werden europäische Unternehmen ihre Produkte nicht hier in Europa, sondern zunächst auf der anderen Seite des Atlantiks vermarkten. Deutschland sollte die öffentlichen Investitionen in dem Bereich deutlich erhöhen und auf europäischer Ebene sicherstellen, dass die Zulassungsverfahren verlässlich, transparent und effizient sind — sonst riskieren wir, bei dieser wichtigen Klimaschutzlösung den Anschluss zu verlieren und damit auch wirtschaftliche Chancen zu verpassen.”

Pressekontakt:
Ivo Rzegotta, (+49) 151 40064530, ivor@gfi.org

Hintergrund

Was ist kultiviertes Fleisch?

Bei kultiviertem Fleisch handelt es sich grundsätzlich um dasselbe Fleisch, das wir heute essen. Es wird jedoch nicht durch das Schlachten von Tieren hergestellt, sondern durch das Vermehren von Zellen in Fermentern, wie sie auch zum Bierbrauen verwendet werden.

Wie funktioniert das Kultivieren von Fleisch?

Die Kultivierung von Fleisch lässt sich vergleichen mit der Aufzucht von Pflanzen in einem Gewächshaus, das die Pflanzenstecklinge mit Wärme, fruchtbarem Boden und Nährstoffen versorgt. Bei der Kultivierung von Fleisch wird einem lebenden Tier zunächst eine harmlose Gewebeprobe entnommen, aus der Zellen gewonnen werden. Die Zellen kommen dann in einen Fermenter, in dem sie mit den Nährstoffen versorgt werden, die sie für die Vermehrung und für ihr Wachstum zu Fleisch benötigen. Auf molekularer Ebene ist kultiviertes Fleisch identisch mit Fleisch aus der Tierhaltung – es schmeckt genauso und lässt sich auch so zubereiten, benötigt aber nur einen Bruchteil der Ressourcen.

Warum brauchen wir kultiviertes Fleisch?

Die Tierhaltung ist für rund 20% der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich und damit für mehr als der gesamte Transportsektor — inklusive aller Autos, Flugzeuge, Schiffe und Züge zusammen. Die globale Nachfrage nach Fleisch wird sich bis 2050 fast verdoppeln. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Klimakrise und der knappen Land- und Wasserressourcen wäre es unverantwortlich, diese steigende Nachfrage durch den weiteren Ausbau der Tierhaltung zu decken. Eine Studie von CE Delft, die sich auf empirische Daten in diesem Bereich stützt, zeigt dass bis zu 92 Prozent der Treibhausgasemissionen eingespart werden können und dass der Flächenbedarf um bis zu 90 Prozent sinkt, wenn Fleisch in industriellem Maßstab und mit Erneuerbaren Energien produziert wird.

Kultiviertes Fleisch in Europa und Deutschland

Der niederländische Wissenschaftler Mark Post hat im Jahr 2013 den ersten Burger aus kultiviertem Fleisch in London vorgestellt. Seitdem haben viele Unternehmen in Europa damit begonnen, sich in dem Bereich zu betätigen und Produkte zu entwickeln. Gegenwärtig arbeiten in Europa rund 30 Unternehmen an der Entwicklung von kultiviertem Fleisch und Seafood. Dazu gehören etwa die deutschen Unternehmen Bluu Seafood, Innocent Meat, Alife Foods und Cultimate Foods. In Deutschland haben auch große Unternehmen aus der Lebensmittelwirtschaft damit begonnen, ihr Portfolio zu erweitern und an kultiviertem Fleisch zu arbeiten — darunter die PHW Group, die Rügenwalder Mühle und InFamily Foods.

Grundsätzlich hat Deutschland alle Voraussetzungen, um im Bereich Zellkultivierung zu einem globalen Innovationsführer zu werden: eine exzellente Forschungslandschaft mit erstklassigen Hochschulen und weltweit einzigartigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen, eine Reihe von vielversprechenden Startups für Zellkultivierung und etablierte Unternehmen aus Lebensmittelwirtschaft und Industrie, die bereits in dem Bereich aktiv sind. Eine Umfrage von GFI Europe hat festgestellt, dass das Interesse an kultiviertem Fleisch in europäischen Kernmärkten steigt: 57 % der Menschen aus Deutschland haben darin angegeben, dass sie kultiviertes Fleisch kaufen würden, wenn es in Europa verfügbar wird.

Quelle: Good Food Institute Europe