Raus aus der Überfischungskrise

Aktueller Bericht drängt auf neuen Ansatz bei der Fangquotenverteilung im europäischen Nordostatlantik.

Die Regierungen der Fischfangnationen im Nordostatlantik – darunter Deutschland als Teil der EU-Flotte – könnten der Überfischung ihrer großen Schwarmfischbestände ein Ende setzen, wenn sie grundlegende Mechanismen der Fangquotenfestlegung reformieren würden. Dies geht aus einem aktuellen Bericht hervor, den der Marine Stewardship Council (MSC) in Auftrag gegeben hat. 

Eine neue Herangehensweise an die transnationale Quotenfestlegung, so der Bericht, böte die große Chance, die seit Jahren festgefahrenen Verhandlungen über eine nachhaltige Befischung von atlanto-skandischem Hering, Makrele und Blauem Wittling endlich zu einem positiven Ergebnis zu führen.

Mit atlanto-skandischem Hering, Makrele und Blauem Wittling werden drei der bedeutendsten Fischpopulationen Europas seit Jahren massiv überfischt, weil die zuständigen Regierungen sich nicht auf eine nachhaltige Fangquotenverteilung einigen können. In den letzten sechs Jahren lag die Fangmenge der drei Fischarten jeweils um mindestens 20 Prozent höher als die wissenschaftlich empfohlene, nachhaltige Fangmenge.

Der heute veröffentlichte Bericht „North-East Atlantic Pelagic Fisheries – Management Challenges for Straddling Fish Stocks“ des Meeresforschungs- und -Beratungsunternehmens ABPmer [1] legt nahe, dass eine Einigung auf nachhaltige Fangmengen möglich wäre, wenn die Mechanismen zur Quotenvereinbarung reformiert würden:

Mehrheitsentscheidung statt einstimmiger Konsens

Der Bericht empfiehlt, bei Quoten-Verhandlungen zukünftig auf Mehrheitsentscheidungen zu setzen, wenn kein einstimmiger Konsens zu erwirken ist. Dieses Modell funktioniert bereits in anderen Meeresregionen, in denen Fischbestände von mehreren Fangnationen gemeinsam befischt werden. So zum Beispiel bei der MSC-zertifizierten Makrelen Fischerei im Südpazifik [2]: Die 15 Fangnationen, die den dortigen Makrelenbestand befischen, konnten sich qua Mehrheitsentscheid auf eine nachhaltige Fangquotenaufteilung einigen, die nun seit vielen Jahren erfolgreich von allen Fangnationen eingehalten wird.

Unabhängige Streitschlichtungsverfahren

Der vom MSC beauftragte Bericht empfiehlt weiterhin, für das Management der nordostatlantischen Schwarmfischbestände ein unabhängiges Einspruchs- und Streitschlichtungsverfahren zu etablieren. So könnten beispielsweise bereits getroffene Vereinbarungen an neue Umstände angepasst werden, ohne zwischenstaatliche Verhandlungen in Gänze zu blockieren. Eine Anpassung früherer Vereinbarungen kann zum Beispiel notwendig werden, wenn sich die Verbreitungsgebiete der Bestände infolge des Klimawandels verschieben.

Verhandlungspakete schnüren

Der Bericht empfiehlt zudem, größere Verhandlungspakete zu schnüren, anstatt jede Fischart einzeln zu verhandeln. Solche Verhandlungspakete können nicht nur mehrere Fischarten umfassen, sondern auch Aspekte wie den Zugang zu Fischereigebieten oder Anlandehäfen oder sogar generellere Handelsvereinbarungen miteinschließen. Mit einer Erweiterung der Verhandlungsmasse steigt die Möglichkeit, Kompromisse zu finden und die Verhandlungen erfolgreich abzuschließen. Einen solchen Ansatz verfolgte zum Beispiel das Handels- und Kooperationsabkommens (TCA) zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, welches Fischerei, Handel, Verkehr und Luftfahrt umfasst.

Der aktuelle Bericht zum Management der drei großen nordostatlantischen Schwarmfischbestände wurde vergangene Woche im Rahmen eines vom MSC veranstalteten Symposiums vorgestellt. Mehr als 100 Fachleute nahmen an diesem Symposium teil, um Lösungen für die Überfischungsproblematik im Nordostatlantik zu diskutieren. Unter den Teilnehmenden waren Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Ziel der Veranstaltung war es, vor der nächsten Verhandlungsrunde der Fangnationen im Herbst 2023 eine positive Dynamik zu erzeugen.

Aufforderung an die Politik: Eine neue Herangehensweise an die Festlegung staatenübergreifender Fangquoten im Nordostatlantik ist dringend nötig

Der MSC fordert die beteiligten Regierungen auf, die Uneinigkeit über die Bewirtschaftung der gemeinsamen Fischbestände mit Nachdruck zu lösen und die Überfischung dieser Bestände zu beenden. Bereits 2019 und 2020 hatte das schlechte Bestandsmanagement im Nordostatlantik dazu geführt, dass den Fischereien auf atlanto-skandischen Hering, Makrele und Blauen Wittling das MSC-Siegel für nachhaltige Fischerei entzogen wurde.

Erin Priddle, Nordeuropa Direktorin des MSC, sagte: „Eine Lösung des Fangquotenproblems im Nordostatlantik ist in Reichweite. Durch den mutigen Schritt, sich auf eine neue Art der gemeinsamen nachhaltigen Bewirtschaftung dieser Bestände zu einigen, könnten die Fangnationen die künftige Produktivität dieser Fischbestände und der von ihnen abhängigen Ökosysteme und Volkswirtschaften sichern.“

Suzannah Walmsley, Fischereiexpertin bei ABPmer und Autorin des Berichts, sagte: „Mit politischem Willen und Kompromissbereitschaft kann ein umfassendes Abkommen über eine nachhaltige Bewirtschaftung und Quotenaufteilung im Nordostatlantik erreicht werden. Ein Abkommen, welches auch künftigen ökologischen und politischen Veränderungen und Herausforderungen standhalten kann.“

Referenzen:

[1] ABPmer, (2023). North-East Atlantic Pelagic Fisheries – Management Challenges for Straddling Fish Stocks, Final Report, ABPmer Report No. R.4069. A report produced by ABPmer for Marine Stewardship Council, June 2023.

[2] Trachurus murphyi, Chilenische Jack Makrele

Quelle: MSC