Immer mehr fettleibige Kinder! Nur, wo sind sie bloß alle?

Sicher haben Sie es auch jüngst gelesen: „Alarmierende Zahlen belegen den starken Anstieg an fettleibigen Kindern, die Politik muss handeln!“, war in zahlreichen Medien zu lesen. Doch wie viel Wahrheit steckt wirklich dahinter?

Lesen Sie in den nachfolgenden FAQ, wie leicht aus good news alarmierende bad news gemacht werden – und mit welcher einfachen Frage sie der „meinungsmanipulativen Bauernfängerei“ den Wind aus den Segeln nehmen.

Hat die Quote fettleibiger Kinder in den letzten Jahren wirklich so dramatisch zugenommen?

Definitiv: Nein. Leider gibt es dazu keine einzige repräsentative Verlaufsstudie mit aktuellen Daten. Aber vergleicht man die unterschiedlichen Quellen vertrauenswürdiger Daten, dann sieht man: Die Quote fettleibiger Kinder und Jugendliche in Deutschland ist nicht nur gering, sie steigt auch seit vielen Jahren nicht nennenswert an, sondern stagniert auf niedrigem Niveau. Der aktuelle BARMER Arztreport 2023 hat dies erneut unmissverständlich dokumentiert.

Was genau hat der neue BARMER-Arztreport 2023 gezeigt?

96,45 % aller deutschen Kinder & Jugendlichen sind nicht fettleibig und der Anstieg juveniler (kindlich-jugendlicher) Adipositas während Corona 2019-2021 betrug nur niedrige 0,36 % (2019 bei 3,19 % und 2021 bei 3,55 %).

Damit bestätigen die aktuellen Gesamtzahlen (3,55 %) von Deutschlands zweitgrößter gesetzlicher Krankenversicherung, Barmer, die Verlaufsdaten der drittgrößten bundesweiten Krankenkasse. Denn der DAK-Kinder- & Jugendreport  dokumentierte in sechs aufeinanderfolgenden Veröffentlichungen unverändert: Insgesamt wurde bei etwa  3,7 % aller Kinder und Jugendlichen in den Jahren 2016 bis 2020 eine Adipositas-Diagnose gestellt. Da die DAK-Daten eine hohe Repräsentativität aufweisen (im Altersgruppenvergleich zum Mikrozensus), ist eine Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf Gesamtdeutschland hoch wahrscheinlich. Das gleiche gilt für die Barmer-Daten.

Damit sind die DAK- & Barmer-Daten sogar noch deutlich niedriger als die der einzigen deutschen Verlaufsstudie des RKI, die KiGGS-Welle 1 & 2 (letzte Daten aus 2017): Hier lag die Quote fettleibiger Kinder & Jugendlichen in beiden Wellen unverändert bei 5,9 %. Auch wenn die KiGGS- und Krankenkassen-Daten nicht direkt miteinander vergleichbar sind, so sieht man einige grundsätzliche Parallenen: In allen drei Analysen sind stringent weniger als 94 % der Kinder & Jugendlichen adipös. Und alle Datenreihen zeigen keinen nennenswerten Anstieg über viele Jahre hinweg. Das sind: Richtig gute Nachrichten und absolut kein Grund für „fetten Alarmismus“.

Nun fragt man sich: Warum kolportieren die aktuellen Meldungen zahlreicher Medien genau das Gegenteil: „Alarmierend, drastisch, brisantes enthüllt, extrem, enorm, Warnung! Kinder werden immer fetter“? Dazu wenden die „Alarmisten“ einen ganz einfachen statistischen Taschenspielertrick an.

Welcher konkrete Taschenspielertrick wurde hier genutzt, um medial massiv Alarm zu machen?

Wenn aus Studiendaten nur die „relativen Risiken“ (RR) kommuniziert werden, dann hat man deutlich höhere Zahlen, die wesentlich mehr Eindruck machen. Die härteren und aussagekräftigeren Werte aber sind die „absoluten Risiken“ – und die werden gerne mal „kulant verschwiegen“. Warum? Ganz einfach: Weil sie oftmals viel zu niedrig sind, um daraus eine Schlagzeile zu machen. Die RR sind viel höher. 11,3 % Anstieg klingt viel „besser alarmistisch“ als „BARMER warnt: Kindliche Adipositas steigt um 0,36 %!“ Doch genau das wäre die objektiv korrektere Darstellung, denn im BARMER Arztreport steht (S.142), es gab eine „… relative Zunahme der Dokumentation der Diagnose Adipositas mit dem Kode E66 um 11,3 Prozent, die 2019 bei 3,19 und 2021 dann bei 3,55 aller Kinder dokumentiert wurde“. Wäre der 0,36 %-ige Anstieg für Medien eine Schlagzeile wert? Nein. Randnotiz: Erfreulicherweise gab es von 2020 zu 2021 auch nur einen minimalen Anstieg von 0,4 % bei den adipösen Erwachsenen: von 10,2 % auf 10,6 %. Der Mythos „die Coronapandemie hat uns fett gemacht“ kann damit endgültig als Märchen ad acta gelegt werden.

Liefern die aktuellen BARMER-Zahlen Argumente für das geplante Özdemir´sche Verbot von Werbung für „ungesunde“ Lebensmittel, die sich an Kinder richtet?

Die aktuellen Daten führen diese moralinsaure Maßnahme vollends ad absurdum. Denn: Erstens gibt es aus wissenschaftlicher Sicht keine Beweise für „ungesunde“ Lebensmittel, daher lehnen z.B. auch die großen 7 ökotrophologischen Institutionen in DACH (z.B. DGE, SGE, ÖGE, BZfE, DIfE ..) die Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel unisono und unabhängig voneinander kategorisch ab. Zweitens liegen keinerlei Beweise (Kausalevidenz) vor, dass diese vermeintlich „bösen“ Produkte die Kinder krank oder dick machen. Und nun, drittens, zeigt auch noch der Arztreport, dass wir überhaupt kein großes Problem mit dicken Kindern haben: Denn fast 97 % der kleinen Racker sind nicht adipös. Aber genau diese Gruppe adressiert Minister Özdemir mit seinem Werbeverbot, sie insbesondere will er damit „schützen“. Was also soll das ganze Gießkannen-Prinzip, wenn es nur einem kleinen Teil des Nachwuchses helfen könnte – und das auch nur hoch spekulativ, denn siehe vorgenannt erstens und zweitens. Was also ist das Ziel von Cem Özdemir? Schwer nachvollziehbar, denn derzeit werden den Eltern vage Hypothesen als harte Fakten aufgetischt und ihnen damit Angst vor nicht existenten Gefahren gemacht, gegen die sie und besonders ihren lieben Kleinen von Vater Staat mit Verboten geschützt werden müssen. Gemäß evidenzbasierter Wissenschaftlich ist das unhaltbar. Und einen Nutzennachweis gibt es auch nicht. Und den wird es auch niemals geben. Es bleibt also „Cems-Secret“.

Welche Frage sollte ich (mir) immer stellen, wenn ich solche „Alarmmeldungen“ lese?

Das ist ganz einfach: Wird hier die relative oder die absolute Wahrscheinlichkeit kommuniziert? Und: Neben diesem statistischen Taschenspielertrick mit der relativen Wahrscheinlichkeit ist der beliebteste Schachzug, Daten wichtiger erscheinen zu lassen, als sie wirklich sind: Aus banalen Zusammenhängen (Korrelationen) werden Ursache-Wirkungs-Beziehungen (Kausalitäten) gestrickt. Den Trick nutzt die Politik auch gerne, z.B…

Kennt Lauterbach den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität nicht?

Uwe Knop (*72) ist evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler (Dipl.oec.troph./JLU Gießen), Publizist, Referent und Buchautor (u.a. Erfolgreich abnehmen und schlank bleiben, Springer 2022). Seit mehr als 14 Jahren bildet die objektiv-faktenbasierte Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Knop hat den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, worauf er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt – genussvolles Essen zur Lebenserhaltung – vertraut.