Appell an Özdemir: Kostenloses Schulessen statt sinnloser Werbeverbote!

Unser Bundeslandwirtschaftsminister plant ein umfangreiches deutschlandweites Verbot, um an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung für „ungesunde“ Produkte massiv einzuschränken.

Das klingt erst einmal plausibel, doch dem Plan fehlen die wissenschaftliche Evidenz und damit die gesetzliche Grundlage. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop hat eine bessere Idee.

Warum will Özdemir ein Werbeverbot für ungesunde Kinderlebensmittel durchsetzen?

Der Ansatz ist gut gemeint: Unser Bundeslandwirtschaftsminister will damit die Kinder vor Fettleibigkeit (Adipositas) und Krankheiten schützen. Doch gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Denn außer diesem begrüßenswerten Ziel passt bei der avisierten staatlichen Zwangsregulierung des freien Marktes rein gar nichts zusammen.

Was konkret sind die „Fallstricke“ beim Vorhaben des Ministers?

Es beginnt schon mit „ungesunden“ Lebensmitteln. Das ist ein moralinsaurer Kampfbegriff wie „Junk Food“. Beide Kategorie existieren offiziell nicht, es gibt weder eine national noch international standardisierte Definition.  „Ungesunde“ Lebensmittel werden daher gerne im ideologischen Kontext von Gesundheitsaposteln verwendet, aber nicht im seriösen Fachjargon der Wissenschaft. Diese Einteilung lehnen daher auch die sieben großen ernährungswissenschaftlichen Fachorganisationen im deutschen Sprachraum DACH kategorisch und unisono ab.

Darüber hinaus liegen keinerlei Beweise (Kausalevidenz) vor, dass diese vermeintlich „bösen“ Produkte die Kinder krank oder dick machen. Solche Studien gibt es nicht und sie wird es aufgrund der massiven Limitierungen der Ernährungswissenschaft auch niemals geben. Und das ist noch längst nicht alles.

Welche Gründe sprechen noch gegen ein Werbeverbot?

Last but not least ist das Argument „Die Kinder werden immer dicker, wir brauchen staatliche Zwangsmaßnahmen“ nicht mehr als eine Luftnummer, mit der die Bürger durch  statistische Taschenspielertricks getäuscht werden. Denn nicht nur die aktuellen Zahlen der BARMER, Deutschlands zweitgrößter gesetzlicher Krankenversicherung, zeigen, dass 96,45 % aller deutschen Kinder & Jugendlichen nicht fettleibig sind und der Anstieg juveniler (kindlich-jugendlicher) Adipositas während Corona 2019-2021 nur niedrige 0,36 % betrug (2019 bei 3,19 % und 2021 bei 3,55 %). Auch die drittgrößte bundesweite Krankenkasse, die DAK, belegt mit ihrem jährlichen Kinder- & Jugendreport  bereits in sechs aufeinanderfolgenden Publikationen unverändert: Insgesamt wurde in den Jahren 2016 bis 2021 jeweils bei etwa  3,7 % aller Kinder und Jugendlichen eine Adipositas-Diagnose gestellt. Da die DAK-Daten eine hohe Repräsentativität aufweisen (im Altersgruppenvergleich zum Mikrozensus), ist eine Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf Gesamtdeutschland hoch wahrscheinlich. Das gleiche gilt für die Barmer-Daten.

Als würde das alles nicht reichen, hat auch ein aktuelles Gutachten führender deutscher Statistikexperten klar gezeigt, dass die Evidenzgrundlage in keiner Weise gegeben ist, um ein solches, staatlich verordnetes Werbeverbot zu rechtfertigen.

Wer hat das Gutachten in Auftrag gegeben?

Dieses Gutachten wurde im Auftrag des Lebensmittelverbands Deutschland e.V. von Katharina Schüller, Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft, sowie Statistik-Professor Walter Krämer, Prof. em. TU Dortmund, angefertigt – beide sind auch Autoren der unabhängigen monatlichen „Unstatistik des Monats“ des RWI (für mich persönlich einer der besten Newsletter der Republik). In ihrer Arbeit untersuchen sie die wissenschaftlich-statistische Basis eines vielfach geforderten Werbeverbots für Nahrungsmittel, die hinsichtlich ihres Zucker-, Salz- oder Fettanteils nicht den Anforderungen des WHO Nährwertprofil-Modells für Europa (WHO, 2023) entsprechen.

Was haben die Statistik-Experten herausgefunden?

Es fehlen die wissenschaftlichen Beweise (Evidenz) eines unmittelbaren, ursächlichen (kausalen) Zusammenhangs zwischen der Werbeexposition von Kindern und vermehrtem Übergewicht bis hin zu Adipositas. Weder ist die nachhaltige Wirkung von Werbung auf den vermehrten Verzehr von sogenannten „ungesunden“  Lebensmitteln bei Kindern wissenschaftlich klar belegt, noch stellt irgendeine Studie einen kausalen Zusammenhang zu Übergewicht her. Im Gegenteil, dieser Zusammenhang wird nahezu gar nicht untersucht. Eine wissenschaftliche Grundlage, aus der sich ein evidenzbasiertes Werbeverbot zur Gesundheitsförderung ableiten ließe, ist somit nicht hinreichend gegeben. Prof. Walter Krämer: Man muss sich schon sehr wundern. Sämtliche von uns untersuchten Studien beruhen auf zweifelhaften Annahmen, sind oft methodisch schwach und von fragwürdiger Qualität – oder haben einen ganz anderen Forschungsgegenstand. Statt schlüssiger Beweise stützen sich viele Arbeiten auf Schätzungen und Scheineffekte, die wissenschaftlicher Nonsens und kaum geeignet sind, ein Werbeverbot für Lebensmittel zu rechtfertigen.“ Diese Ergebnisse sind mehr als eindeutig – doch sie interessieren das BMEL und Özdemir anscheinend nicht, er freut sich stattdessen auf Twitter lieber über foodwatch-Umfragen – und sein Ministerium schweigt bei wichtigen Fragen.

Inwiefern schweigt Özdemirs Ministerium?

Ich habe jüngst eine Presseanfrage an das BMEL gestellt, in der ich beispielsweise gefragt habe, „Welche Kausalevidenz liegt vor, dass „ungesunde“ Lebensmittel ursächlich zu juveniler Adipositas und Erkrankungen führen?“. Oder, was die schwammigen Formulierungen wie „diese Lebensmittel begünstigen eine unausgewogene Ernährung bei Kindern und Jugendlichen“ konkret bedeuten. Auch weitere diffuse Aussagen wie in den BMEL-FAQ „dass für eine bestmögliche Wirksamkeit entsprechende Werbeverbote Kinder und Jugendliche möglichst umfassend schützen sollten“ zeigen, dass man sich selbst im BMEL hinter kreativen Worthülsen verstecken muss, weil es keine klaren Belege für glasklare Aussagen gibt. Die Antwort eines Sprechers des BMEL lautete dementsprechend:  „Wir können keine weiteren Aussagen dazu machen.“

Wie sollte das BMEL die Kinder besser unterstützen?

Auf Basis zahlreicher Studien herrscht inzwischen ein klarer wissenschaftlicher Konsens, dass das Gros fettleibiger Kinder nicht gleichmäßig im Land verteilt ist – sondern, dass der adipöse Nachwuchs vorwiegend in niedrigen sozialen Schichten mit wenig Einkommen, schlechtem Bildungsniveau und Migrationshintergrund aufwächst. Die Quoten sind teilweise um das drei- bis vierfache höher – so zeigen die aktuellen „Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen 2023“ in Niedersachsen. Der Anteil an Kindern mit Adipositas in bildungsfernen Schichten liegt bei 13,4 %, in den bildungsnahen Familien bei 3,1 %. Bei Kindern mit Migrationshintergrund sind es 10,4 % und ohne 5,4 %. Daher sollte ein deutscher Ernährungsminister der Öffentlichkeit keine sinnlosen und evidenzfreien Gießkannenmaßnahmen präsentieren, sondern besser fokussierte Maßnahmen, also genau auf die vorwiegend betroffene Zielgruppe maßgeschneidert, erarbeiten und umsetzen. Aber vielleicht hat das BMEL in heutigen Zeiten eine gewisse Furcht vor massiven Shitstorms in sozialen Medien, wenn man seine Maßnahmen – mal sehr spitz und salopp formuliert – ganz gezielt und primär auf „arme, bildungsferne, dicke Ausländerkinder“ ausrichtet und – im wahren Sinne – dann das „Kind auch öffentlich beim Namen nennt“. Da bleibt man lieber diffus und tut so als tue man allen Kindern was Gutes. Das ist nicht aufrichtig und hilft letztlich niemanden, sondern verbrennt nur Steuergeld.

Vielleicht würde eine dem aktuellen Zeitgeist entsprechende Formulierung weiterhelfen: Das BMEL wird künftig Maßnahmen gegen juvenile Fettleibigkeit durchführen, die sich ganz gezielt an „besonders körperlich kräftig gebaute Kinder aus Familien mit internationalen Wurzeln, alternativem Bildungsstand und genügsamen Finanzen“ richten. Da bleibt sicher jeder Shitstorm im Stadium des lauen Lüftchens stecken.

Gibt es eine Maßnahme, die insbesondere den ärmeren Kindern schnell hilft?

Auf jeden Fall: Kostenloses Schulessen! Am besten gleich für alle, dann gibt es keine „Ungerechtigkeitsdiskussionen“. Denn oftmals ist das Essen so teuer, dass es sich viele Eltern nicht leisten können – und deren Kinder haben dann keine warme Mittags-Mahlzeit. Das ist nicht nur ein Armutszeugnis für Deutschland, sondern ein Unding. Daher ist es vollumfänglich zu begrüßen, dass das Deutsche Netzwerk Schulverpflegung (DNSV) eine Petition gestartet hat, um für kostenloses Schulessen für alle in Deutschland zu kämpfen: Eine kostenfreie tägliche warme Mittagsmahlzeit für alle Schüler solle als Grundrecht in einem Bundesgesetz verankert werden, fordert das DNSV.  Wie das geht, zeigen übrigens unsere nördlichen Nachbarn: In Finnland, Norwegen und Schweden erhält an staatlichen Schulen jeder Schüler eine kostenlose warme Mahlzeit.

Warum also nicht auch hierzulande? Statt viele Ressourcen, Menschen und Staatsgelder mit unsinnigen Werbeverboten zu binden, sollte der Fokus des BMEL – in Kooperation mit der Bundesfamilienministerin und den Ländern – voll auf der wichtigster Maßnahmen überhaupt im Kontext Kinderernährung liegen: kostenloses Schulessen für alle. Und dann am besten direkt ein richtig gutes von hoher Qualität und Frische, ideal regional und immer schön abwechslungsreich. Das wäre wunderbar.

Uwe Knop (*72) ist evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler (Dipl.oec.troph./JLU Gießen), Publizist, Referent und Buchautor (u.a. Erfolgreich abnehmen und schlank bleiben, Springer 2022). Seit mehr als 14 Jahren bildet die objektiv-faktenbasierte Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Knop hat den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, worauf er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt – genussvolles Essen zur Lebenserhaltung – vertraut.