GV im Aufbruch – mit Rückenwind in die Zukunft?

DGE-Arbeitstagung am 30. August 2023 in Bonn.

Mit etwa 16 Millionen Gästen täglich in Kitas, Schulen, Betrieben, Heimen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen wird die Gemeinschaftsverpflegung (GV) zunehmend als Hebel für die Transformation hin zu einer gesundheitsfördernden und nachhaltigen Ernährung angesehen. Auf der Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) am 30. August 2023 im Wissenschaftszentrum in Bonn diskutieren über 200 Teilnehmende vor Ort mit Referent*innen aus Wissenschaft und Praxis die großen Herausforderungen, vor der die komplexe Dienstleistung der GV steht.

Die Steuerungsgruppe der DGE-Fachgruppe Gemeinschaftsverpflegung hat die Wissenschaftliche Leitung der Veranstaltung übernommen. Zwar stehe die Gemeinschaftsverpflegung durch individuelle Ernährungsstile, die Erosion gewachsener Mahlzeitenstrukturen, Homeoffice und steigende Kosten heute unter Druck, sagt Prof. Dr. Gunther Hirschfelder, Universität Regensburg, Experte für Kulturgeschichte der Ernährung. Doch aus kulturhistorischer Perspektive sei klar: Gemeinschaftsverpflegung ist nicht nur zukunftsfähig, sondern wichtiger denn je. Das gemeinsame Essen stellt eine besondere Form der Kommunikation dar, stiftet Vertrauen und ist unabdingbar, um Gemeinschaft zu schaffen. Die gemeinschaftliche Mahlzeit ist schon immer das zentrale Grundmuster der Ernährung gewesen, von den antiken Kulturen bis zur modernen Kantine und Mensa.

Qualität ist nicht verhandelbar – auch bei steigenden Kosten!

Die steigenden Kosten für Lebensmittel, Energie und Löhne stellen eine große Herausforderung für die GV dar. Auch Qualitätsanforderungen, wie ein höherer Bio-Anteil, führen zu Preissteigerungen. Das Management von Betrieben der Gemeinschaftsgastronomie benötigt daher ein methodisches Kostenmanagement anstelle von pauschalen Kürzungsansätzen, betont Prof. Dr. Torsten Olderog, AKAD University, Stuttgart. Völlig neue Möglichkeiten schaffen beispielsweise Lösungen aus dem Bereich der Digitalisierung, KI und Robotik. Olderog benennt vier Managementbereiche, die an Bedeutung gewinnen: Kostenanalyse, Kostenplanung und langfristige Perspektive, Kostenkontrolle, Benchmarking und Risikomanagement sowie Technologie und Automatisierung.

Wie man mit steigenden Kosten umgehen kann, ohne die Qualität der GV zu vernachlässigen, beschreibt Prof. Dr. Christopher Zeiss von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Aus rechtlicher Sicht sei es wichtig, zwischen bestehenden und neu abzuschließenden Verträgen zu un¬terscheiden. Es können stufenweise Preiserhöhungen fest vereinbart werden, wenn während der Vertragslaufzeit steigende Qualitätsanforderungen, wie z. B. ein erhöhter Bio-Anteil, vorgesehen sind. Auf veränderte Umstände wie aktuelle Krisensituationen kann so allerdings nicht flexibel reagiert werden. Für zukünftige Verträge sei es empfehlenswert, Preisanpassungsmechanismen wie stufenweise Preiserhöhungen und juristisch anspruchsvollere Preisgleitklauseln vertraglich zu vereinbaren.

Zukunft auf dem Teller – vegan und bio?

Über die Chancen, Nutzen und Risiken veganer Ernährung in der GV spricht DGE-Präsident Prof. Dr. Bernhard Watzl. Er betont, dass eine vegane Ernährung die verschiedenen negativen Umweltauswirkungen des Ernährungssystems und bei richtiger Anwendung das Risiko für ernährungsmitbedingte Krankheiten reduziert. Da Langzeitstudien zu aktuellen veganen Ernährungsweisen und deren gesundheitlichen Wirkungen bislang fehlen, sieht Watzl ein veganes Speisenangebot als sinnvolle Ergänzung zu den etablierten Menülinien.

Die Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Bio in der GV und der Realität erläutert Prof. Dr. Carola Strassner, FH Münster. Biolebensmittel im Speisenangebot zu etablieren, wird wahlweise als Imageträger, Qualitätsfaktor, Wettbewerbsvorteil, Beitrag zur Gesundheitsförderung und Ressourcenschonung, Gästewunsch, Klimaschutz, Tierwohl, Absatz- bzw. Ökolandbauförderung, Vorbildfunktion u. v. m. verstanden und ernährungspolitisch durch verschiedene Maßnahmen unterstützt. Von den europäischen Rechtsvorgaben für Bio-Lebensmittel ist der Bereich der GV allerdings explizit ausgeschlossen. Eine Bio-Außer-Haus-Verpflegungs-Verordnung für Deutschland soll Großküchen und ihren Gästen Sicherheit in Bezug auf den Einsatz von Bio-Lebensmitteln geben.

Zukunft auf dem Teller – technische Innovationen

Hendrik Haase, Berlin, sieht enorme Potenziale und vielfältige Möglichkeiten durch neue Technologien. Diese reichen von erhöhter Lebensmittelsicherheit, mehr Transparenz und Nachhaltigkeit bis hin zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung. Die Verschmelzung von Big Food Data, fortschrittlicher digitaler Sensorik, selbstlernenden Algorithmen (KI) und Echtzeitberechnungen ermöglicht präzisere Vorhersagen und Anpassungen an Marktveränderungen sowie an wechselnde Konsumgewohnheiten der Gäste. Die digitale Revolution birgt jedoch auch Herausforderungen wie Abhängigkeiten von KI und Plattformen sowie fehlende Infrastruktur und Intransparenz. Ohne eine fokussierte digitale Strategie in der GV können die Potenziale für Deutschland nicht ausgeschöpft werden, so Haase.

Die Abstracts zur Arbeitstagung finden Sie in unserer digitalen Pressemappe.

Quelle: DGE