Emnid-Umfrage: Bürger halten freiwilliges „Tierwohl“-Siegel für falschen Ansatz

foodwatch und Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz: Bundesregierung muss Pläne aufgeben. 85 Prozent der Bürger fordern verbindliche Tierschutz-Vorgaben für alle Nutztiere. Freiwilliges „Tierwohl“-Siegel käme nur einem geringen Teil der Tiere zugute. Prof. Blaha und foodwatch kritisieren eklatante Missstände bei Tiergesundheit. foodwatch präsentiert Gegenentwurf zu Tierwohl-Siegel von Minister Christian Schmidt.

Die Verbraucherorganisation foodwatch und die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) haben Bundesagrarminister Christian Schmidt aufgefordert, seine Pläne für ein freiwilliges „Tierwohl“-Siegel aufzugeben.

Es sei „nicht geeignet“, um mehr Tierschutz durchzusetzen, „weil davon immer nur ein mehr oder weniger kleiner Teil der Tiere profitieren kann und die problemverursachenden Marktmechanismen weiterhin für die große Mehrzahl der Tiere ungebremst wirksam bleiben“, heißt es in einer am Mittwoch in Berlin vorgestellten gemeinsamen Stellungnahme des TVT-Vorsitzenden Prof. Dr. Thomas Blaha und des stellvertretenden foodwatch-Geschäftsführers und Veterinärmediziners Matthias Wolfschmidt.

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik des Ministeriums erwartet für Produkte mit dem „Tierwohl“-Siegel einen Marktanteil von gerade einmal 20 Prozent – damit würde die Bundesregierung sich offiziell von dem Anspruch verabschieden, eine tiergerechte Haltung für alle statt nur für einige Nutztiere durchzusetzen. „Es ist nicht akzeptabel, wenn die Bundesregierung weiterhin vermeidbare Krankheiten, Schmerzen und Leiden für 80 Prozent der Nutztiere duldet“, erklärte Matthias Wolfschmidt.

„Ein freiwilliges Siegel ist eine Scheinlösung, die den allermeisten Tieren schadet, den Verbrauchern eine vergiftete Wahl aufbürdet und die Landwirte unvermindert einem ruinösen Preiswettbewerb aussetzt.“ Eine echte Auseinandersetzung darüber, wie Tierschutz für alle Nutztiere statt nur für einzelne erreicht werden kann, werde dadurch verhindert.

Eine aktuelle Repräsentativbefragung von TNS Emnid zeigt: Auch eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hält ein freiwilliges Siegel für den falschen Weg. Nach dem richtigen Ansatz für mehr Tierschutz gefragt, stimmten 80 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Mehr Tierschutz sollte für die Tierhalter verbindlich vorgegeben werden, damit alle Nutztiere tiergerecht und gesund gehalten werden“.

Gerade einmal 16 Prozent bevorzugten den Weg der Bundesregierung, es den Tierhaltern selbst zu überlassen, ob sie ihre Tiere besser halten und gute Haltungsbedingungen entsprechend zu kennzeichnen. Auch Prof. Dr. Thomas Blaha, emeritierter Professor an der Tierärztlichen Hochschule Hannover und Vorsitzender der Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) hält einen freiwilligen Ansatz für inakzeptabel: „Aus ethischen Gründen ist Tierschutz unteilbar, die Lebensbedingungen aller Tiere sollten gleichermaßen gut sein, unabhängig vom Preis der von ihnen gewonnenen Lebensmittel. Das ist auch bei der Lebensmittelsicherheit so, denn Lebensmittel müssen auch gleichermaßen sicher für die Gesundheit des Menschen sein, egal ob sie teuer oder billig sind.”

Noch eindeutiger fällt das Umfrageergebnis aus, wenn nach der Rolle des Staates gefragt wird. 85 Prozent der Befragten fordern verbindliche Kriterien für die Tiergesundheit in allen Nutztierbetrieben. Bisher macht die Politik vor allem formale, häufig ungenügende Vorgaben für Stallgrößen und -ausgestaltung, vollständig ignoriert werden von ihr jedoch die massiven Zahlen vermeidbarer haltungsbedingter Krankheiten, unter denen Nutztiere in allen Betriebsformen, ob klein oder groß, konventionell oder ökologisch wirtschaftend, leiden müssen. 92 Prozent der Bürgerinnen und Bürger verlangen von der Bundesregierung, in den kommenden Jahren eine möglichst tiergerechte und gesunde Haltung nicht nur für einige, sondern für alle Nutztiere durchzusetzen.

In einem Gutachten von 2015 geht der Wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministers davon aus, dass mithilfe eines staatlichen Siegels für „Fleisch aus besonders tierwohlorientierter Haltung“ ein „Marktpotenzial“ von gerade einmal 20 Prozent bestehe. Matthias Wolfschmidt von foodwatch verwies darauf, dass Artikel 20 a des Grundgesetzes die Bundesregierung dazu verpflichte, einen möglichst weitreichenden Tierschutz für alle Nutztiere durchzusetzen. Minister Christian Schmidt könne nicht erklären, weshalb er den in der Verfassung garantierten Schutz für jedes einzelne Tier Abermillionen von Nutztieren vorenthalten wolle.

Bei einer Pressekonferenz in Berlin stellte foodwatch am Mittwoch einen Gegenentwurf zu dem geplanten staatlichen „Tierwohl“-Siegel vor. „Tierleid – staatlich geduldet“ steht schwarz auf rotem Grund. Das runde Label solle verpflichtend auf jenen 80 Prozent der Tierprodukte abgebildet werden, bei denen Minister Schmidt in Kauf nehmen möchte, dass die Tiere nicht „tierwohlorientiert“ gehalten würden – damit würde die andauernde Supermarkt-Illusion über Lebensmittel, die angeblich allesamt von ordentlich und gesund gehaltenen Tieren stammten, beendet.

TVT und foodwatch forderten tierschutzgerechte Haltungsbedingungen für alle Nutztiere. Der erste Schritt müsse die Erfassung des Tiergesundheitsstatus in allen Betrieben sein, um, orientiert an den besten Betrieben, Zielvorgaben für die Tiergesundheit abzuleiten. Andere Faktoren wie Besatzdichte, Stallbau, Auslauf, Transport oder Schlachtung müssten flächendeckend in den nächsten zehn bis 15 Jahren verbessert und EU-weit durchgesetzt werden.

Die Bundesregierung müsse sicherstellen, dass Europas Nutztierhalter für ein nachweislich hohes Niveau an Tierschutz und Tiergesundheit angemessen entlohnt werden. Prof. Dr. Thomas Blaha: „Alle Landwirte müssen für die nachweisliche Erzeugung tiergerechter Produkte angemessen vergütet werden. Und die Kosten hierfür sind von denjenigen zu tragen, die tierische Produkte nachfragen.“

Für die Umfrage hat TNS Emnid im Auftrag von foodwatch am 12. und 13. Januar 2017 insgesamt 1.004 Bürgerinnen und Bürger bevölkerungsrepräsentativ befragt.

Quelle und Pressekontakt foodwatch

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