Wenn bei älteren Menschen die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit nachlässt, gehäuft Infekte auftreten und der Gang unsicher wird, werden diese Symptome leicht dem „normalen“ Alterungsprozess zugeschrieben. Hinter vermeintlichen Alterserscheinungen kann sich aber auch ein Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen verbergen, warnten Wissenschaftler auf einem Symposium der Gesellschaft für Biofaktoren e.V. am 10. November in Hamburg.
Denn ältere Menschen sind vielfältigen, sich gegenseitig verstärkenden Faktoren ausgesetzt, die die Versorgung mit lebenswichtigen Nährstoffen erheblich beeinträchtigen können: „Im Zuge des Alterungsprozesses nimmt die Leistungsfähigkeit des Magen-Darm-Trakts stetig ab“, erklärte der Pharmakologe Prof. Dr. Dr. med. Dieter Loew. Dadurch können Vitamine und Mineralstoffe aus der Nahrung schlechter vom Körper aufgenommen werden.
Gleichzeitig nehmen vielen Senioren über die Ernährung weniger Vitamine und Mineralstoffe zu sich. Verschärft wird eine kritische Nährstoff-Versorgung durch chronische Erkrankungen und die damit verbundene medikamentöse Behandlung. Beides könne den Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen erheblich steigern und so zu Mangelsituationen führen, betonte Dr. des. Uwe Gröber, Apotheker und Leiter der Akademie für Mikronährstoffmedizin in Essen.
40% der Patienten, die medikamentös behandelt werden, nehmen täglich 9 oder mehr Arzneimittel ein(1). Daraus ergeben sich komplexe Wechselwirkungen mit Vitaminen und Mineralstoffen, wodurch diese Personen ein besonders hohes Risiko für Mangelerscheinungen tragen, so Gröber. Werden diese nicht erkannt und rechtzeitig ausgeglichen, drohen teils schwerwiegende Folgen: Diese reichen von einem geschwächten Immunsystem und mangelnder Vitalität bis hin zu Nervenschäden, Demenz, Osteoporose und einer Verschlimmerung bestehender Erkrankungen.
Vitamin B-Mangel geht auf die Nerven
Ein Mangel an Vitamin B1 führe beispielsweise schon kurzfristig zu einem Einbruch der Leistungsfähigkeit in verschiedenen Teilbereichen des Nervensystems, erklärte Prof. Dr. med. Karlheinz Reiners. Dies könne zum einen das Gehirn betreffen: Leichte Defizite zeigten sich durch Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit oder Orientierungsstörungen – schlimmstenfalls könne sich eine Demenz entwickeln, warnte der Neurologe.
Oftmals werden auch die langen Nervenbahnen geschädigt, die zu den Füßen und Händen reichen. Diese sogenannte Polyneuropathie äußert sich daher meist durch Empfindungsstörungen wie Kribbeln, Brennen oder Taubheit in den Füßen oder Händen. Ein erhöhtes Risiko für einen Mangel an Vitamin B1 tragen beispielsweise Menschen, die an Diabetes mellitus leiden, weil sie das Vitamin vermehrt über die Nieren ausscheiden.
Gleichzeitig sind viele Diabetiker infolge ihrer Stoffwechselstörung von einer Polyneuropathie betroffen, so dass bei diesen Patienten ein Vitamin B1-Mangel unbedingt vermieden oder ausgeglichen werden muss, betonte Reiners. Vorteilhaft ist hier, das Vitamin in Form seiner Vorstufe Benfotiamin zuzuführen. Sie kann vom Körper wesentlich leichter aufgenommen werden, wodurch das Vitamin in ausreichend hohen Konzentrationen zum Nervengewebe gelangt.
Vitamin B12-Mangel im Alter verbreitet
Ältere Menschen tragen auch ein hohes Risiko für einen Mangel an Vitamin B12: Einer aktuellen Studie des Helmholtz-Zentrums zufolge ist in Deutschland jeder Vierte über 65 Jahren davon betroffen(2). Ursache für die verbreitete Unterversorgung im Alter ist neben einer qualitativ unzureichenden Nahrung vor allem eine gestörte Aufnahme des Vitamins im Darm: Vitamin B12 erfordert im Verdauungstrakt optimale Bedingungen und Transportmoleküle, um von der Nahrung in den Blutkreislauf übergehen zu können.
Dieser komplexe Vorgang ist insbesondere im Alter häufig gestört, etwa durch einen Mangel an Magensäure oder Transportmolekülen, durch Magen-Schleimhautentzündungen (Gastritis) oder die Einnahme von Arzneimitteln, wie Säureblocker und das Diabetes-Medikament Metformin. Um einen Mangel bei älteren Menschen durch Tabletten auszugleichen, sind hohe Dosierungen erforderlich: 1.000 µg Vitamin B12 pro Tag haben sich in Studien als wirksame Dosis erwiesen, um einen Mangel zuverlässig auszugleichen(3).
Demenz durch B12-Mangel
„Psychiatrisch resultieren aus dem Vitamin B12-Mangel depressive Verstimmungen und kognitive Einbußen bis hin zur Demenz“, verdeutlichte Reiners die Folgen des Mangels. Bei bis zu 30% der Patienten mit kognitiven Störungen kann eine behandelbare Ursache gefunden werden, erklärte Prof. Dr. med. Marija Djukic. Bei Patienten mit Verdacht auf Demenz erwies sich ein Vitamin B12-Mangel sogar als zweithäufigste behandelbare Ursache der Erkrankung(4). Djukic rät, frühzeitig den Vitaminstatus untersuchen zu lassen, da neurologische Symptome irreversibel sein können, wenn sie zu spät behandelt werden.
Magnesium-Mangel schadet Herz und Gefäßen
Insbesondere in Verbindung mit internistischen Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzschwäche, Arteriosklerose, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes mellitus werden bei vielen älteren Menschen häufig Mangelzustände an Magnesium beobachtet, wie Prof. Dr. med. Klaus Kisters berichtete. In jedem Fall müsse dieser Mangel ausgeglichen werden, so Facharzt für Innere Medizin, Nephrologie, klinische Geriatrie und Hypertonie. Ansonsten könnten Neuerkrankungen oder eine Verschlechterung bereits bestehender Erkrankungen ausgelöst werden, warnte Kisters.
Teamarbeit am Knochen
Ein kombinierter Mangel an Magnesium und Vitamin D tritt zudem häufig bei Patienten mit Osteoporose und Muskelschwund (Sarkopenie) auf. Sowohl Magnesium als auch Vitamin D sind für die Knochengesundheit von zentraler Bedeutung, wobei ein enges Zusammenspiel zwischen den beiden Biofaktoren im Stoffwechsel besteht: Vitamin D fördert die Magnesium-Aufnahme im Dünndarm. Magnesium wird wiederum für benötigt, um Vitamin D in die aktive Form umzuwandeln. Mangelzustände an den beiden Biofaktoren können sich daher gegenseitig verstärken, erklärte Kisters.
Im Hinblick auf das steigende Osteoporose-Risiko von Frauen nach den Wechseljahren sei es daher wichtig, auf eine ausreichende Zufuhr beider Nährstoffe zu achten und diese bei Bedarf zu ergänzen, so der Experte. Die Vitamin D-Versorgung ist bei Senioren besonders kritisch, wie Prof. Dr. med. Hilmar Stracke berichtete. Denn im Alter nimmt die Fähigkeit der Haut ab, unter Einfluss von UV-Licht Vitamin D in der Haut zu bilden. Nur wenige Lebensmittel enthalten das Vitamin in nennenswerter Menge.
Daher weist auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung auf eine stärkere Notwendigkeit einer Ergänzung von Vitamin D durch Präparate bei Personen über 65 Jahren hin(5). Vitamin D fördert auch die Aufnahme von Kalzium im Darm, das einen weiteren wichtigen Knochenbaustein darstellt. Daher sollte außerdem auf eine ausreichende Versorgung mit Kalzium über die Nahrung geachtet werden, so der Internist und Stoffwechselexperte Stracke. Kalziumreich sind Milch- und Milchprodukte sowie kalziumreiches Mineralwasser.
Bei Infektanfälligkeit und Hautproblemen an Zinkmangel denken!
Auf dem Speiseplan älterer Menschen befindet sich außerdem häufig zu wenig Zink: 44% der Männer und 27% der Frauen im Alter von 65 – 80 Jahren nehmen hierzulande über die Nahrung weniger Zink auf, als zur Deckung des täglichen Bedarfs empfohlen wird, erklärte der Pharmakologe Prof. Dr. med. Tilmann Ott mit Verweis auf die Ergebnisse der Nationalen Verzehrsstudie II(6). Wie Ott ausführte, ist ein Zinkmangel mit vielfältigen Symptomen verbunden, die häufig im Alter auftreten. Dazu zählen beispielsweise eine verzögerte Wundheilung, Haut-Erkrankungen, Störungen der Geruchs- und Geschmacksempfindung und eine geschwächte Immunabwehr mit erhöhter Infektanfälligkeit.
Biofaktoren-Versorgung im Blick
Prof. Dr. med. Hans-Georg Classen, Vorsitzender der GfB, gab zu bedenken, dass sich die Zufuhrempfehlungen, die auch der Nationalen Verzehrsstudie zugrunde liegen, auf Gesunde beziehen. Sie berücksichtigen keinen durch Krankheiten, Arzneimittel oder Stress bedingten Mehrbedarf. Somit sei zu erwarten, dass ein Mangel an Biofaktoren bei älteren Personen ein häufiges, aber zu selten erkanntest Ereignis ist, resümierte Classen. Die Experten appellierten daher, der Biofaktoren-Versorgung im Alter mehr Aufmerksamkeit zu schenken, Mangelzustände gezielt auszugleichen, um die Gesundheit, Vitalität und Lebensqualität bestmöglich zu erhalten.
Eine Broschüre mit den Vorträgen der Referenten kann auf der Webseite der Gesellschaft für Biofaktoren kostenlos angefordert oder heruntergeladen werden.
Quelle:
Fach-Symposium der Gesellschaft für Biofaktoren e.V.: „Risikogruppen einen kritischen Versorgung mit Biofaktoren: Der alternde Mensch im Fokus“ am 10. November 2018 in Hamburg.
Literatur:
(1) Gröber U, Schmidt J, Kisters K, Important drug micronutrient interactions: A selection for clinical practice. Crit Rev Food Sci Nutr, 2018 (Epub ahead).
(2) Conzade R, Koenig W, Heier M, Schneider A, Grill E, Peters A, Thorand B: Prevalence and predictors of subclinical micronutrient deficiency in German older adults: results from the population-based KORA-Age Study. Nutrients 2017; 9, 1276; DOI: 10.3390/nu9121276
(3) Vidal-Alaball JV, Butler CC, Cannings-John R et al.: Vitamin B12 versus parenteral vitamin B12 for vitamin B12 deficiency. The Cochrane Database Syst Rev Jul 20 (3), CD004655, 2005
(4) Djukic M, Wedekind D, Franz A, Gremke M, Nau R: Frequency of dementia syndromes with a potentially treatable cause in geriatric in-patients: analysis of a 1-year interval. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 265 (5), 429-38, 2015
(5) Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, DGE aktuell: Neue Referenzwerte für Vitamin D, 2012 01/2012 vom 10.01.2012
(6) Max-Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel: Nationale Verzehrsstudie II, 2008.
Pressekontakt: E-Mail: info@gf-biofaktoren.de