STADTLANDBIO 2020: Nachbericht zum Kongress

Am 13. und 14. Februar 2020 trafen sich Vertreter aus Kommunen, die sich für mehr Bio auf kommunaler Ebene engagieren, auf dem Kongress STADTLANDBIO im Messezentrum Nürnberg.

Parallel zur BIOFACH, Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel, die vom 12. bis 15. Februar 2020 stattfand, rückte der Kongress dieses Mal das Thema „Mehr Bio, mehr Region, mehr Zukunft – kein Öko-Landbau ohne landwirtschaftliche Flächen“ in den Fokus. In unserem Abschlussbericht und unter www.stadtlandbio.de lesen Sie nun eine redaktionelle Zusammenfassung des Kongresses mit zentralen Erkenntnissen und Diskussionsbeiträgen aus dem Teilnehmerkreis.

Kongressüberblick:

  • Reduktion des Flächenverbrauches zugunsten der Landwirtschaft
  • Berücksichtigung und Entlohnung der Gemeinwohlfunktion von Grund und Boden
  • Förderung der urbanen Landwirtschaft als klimafreundliches Modell der Lebensmittelproduktion
  • Kommunale Maßnahmen gegen den Betriebs-Schwund im Handwerk
  • Chancen für mehr Bio und mehr Gesundheit in der öffentlichen Verpflegung
  • Gesunde Ernährung braucht mehr als die DGE-Richtlinien

Der Transformationsdruck für mehr Nachhaltigkeit braucht das kommunale Engagement

Der Kongress STADTLANDBIO sei ein „Think Tank mit unmittelbarer politischer Relevanz“ – so formulierte es der Geschäftsführer der NürnbergMesse Peter Ottmann beim Kongressauftakt. Auch Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), betonte diese Unmittelbarkeit im Anschluss an das Kongressresümee: „Städte und Kommunen sind flexibler und schneller als die große Politik“. Diese Dynamik auf kommunaler Ebene müsse angesichts des enormen Transformationsdruckes hin zu nachhaltigeren Lebens- und Wirtschaftsformen voll ausgeschöpft werden. Die Voraussetzungen hierfür erscheinen gut:

„Es gibt im Moment einen erheblichen Bewusstseinswandel, vor allem in der jungen Bevölkerung. Wir haben insgesamt ein deutlich bewussteres Ernährungsverhalten als noch vor 30 Jahren, immer mehr Menschen überlegen sich, was sie mit ihren Kaufentscheidungen bewirken, wir verzeichnen einen rückläufigen Fleischkonsum, und es gibt neue Logistik- und Marketinginstrumente zur Erschließung von Märkten“, gab sich Prof. Dr. Otmar Seibert von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf optimistisch.

„Städte und Kommunen sind flexibler und schneller als die große Politik“
Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW)

Druck und Veränderungsbereitschaft sind also da. Beim Kongress STADTLANDBIO galt es nun, auf kommunaler Ebene konkrete Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit zu definieren, sich gegenseitig zu inspirieren und Probleme an bestehenden Strukturen aufzuzeigen. Hierfür kamen mehr als 100 Teilnehmer, darunter Bürgermeister, Staatssekretäre, Kommunalpolitiker und Verwaltungsmitarbeiter, aber auch Landwirte sowie Vertreter aus Handel, verarbeitender Industrie und Wissenschaft zusammen. Der Kongress fand bereits zum 6. Mal infolge parallel zur BIOFACH, der Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel, auf dem Nürnberger Messegelände statt. Die beiden Schwerpunktthemen der diesjährigen Veranstaltung: Flächenverbrauch und gesunde Ernährung.

1. Reduktion des Flächenverbrauches zugunsten der Landwirtschaft

Zwei Zahlen tauchen seit einiger Zeit auf fast allen Kongressen, Vorträgen und in Diskussionsrunden zum Thema nachhaltige Landwirtschaft unweigerlich auf. Sie werden von den einen stolz und enthusiastisch präsentiert, von manch anderen belächelt: 2030 und 20 %. Auch zum STADTLANDBIO-Kongress greift die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner in ihrer Videobotschaft erneut diese Zahlen auf: bis 2030 sollen 20 % aller landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland biologisch bewirtschaftet werden. Doch wieviel 20 % in Quadratmetern und Hektar sind, das ändert sich Jahr für Jahr, und zwar nur in eine Richtung: es wird weniger. Landwirtschaftliche Flächen müssen vielerorts, vor allem zugunsten von Siedlungen, Gewerbe und Straßenbau, weichen. „Allein in der Metropolregion Nürnberg verlieren jedes Jahr 150 landwirtschaftliche Betriebe den Boden unter den Füßen“, so Seibert. „Von 2004 bis 2018 waren das insgesamt 70.000 Hektar, das sind 5.000 Hektar jedes Jahr!“

„Das knappste Gut in der Kommunalpolitik war in den vergangenen Jahrzehnten das Geld, künftig wird es die Fläche sein.“
Dr. Ulrich Maly, Oberbürgermeister der Bio-Stadt Nürnberg

Die Sorge um den Flächenschwund teilt auch Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly: „Das knappste Gut in der Kommunalpolitik war in den vergangenen Jahrzehnten das Geld, künftig wird es die Fläche sein.“ Wie Seibert sieht auch Maly in Bau- und Ordnungsrecht die zentralen Elemente, um landwirtschaftliche Flächen zu schützen. Wichtig sei dabei, dass Gemeinden auf kommunaler Ebene kooperieren, sich zu Allianzen zusammenschließen. „Nicht jede Gemeinde braucht einen Gewerbepark!“, empört sich Seibert in dem Zusammenhang, der sich in der Gewerbeplanung mehr funktionale Arbeitsteilung mit kommunalen Finanzausgleichen wünscht. Auch Dr. Heinrich Bottermann, Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalens, empfindet den Konkurrenzkampf zwischen den Kommunen als „lächerlich“ und empfiehlt, mehr mit Flächenzertifikaten zu arbeiten. Den größten gesetzlichen Hebel gegen den Schwund landwirtschaftlicher Flächen sieht er jedoch nicht im Ordnungsrecht: „Das sollte man eher untergesetzlich regeln, und wenn es gesetzlich geregelt werden muss, dann sollte man es im Klimarecht verankern.“

Was die Handlungsspielräume zur Reduktion des Flächenverbrauchs zugunsten der Landwirtschaft angeht ist Seibert skeptisch: „Alle Bemühungen werden torpediert durch die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union. Solange wir eine europäische Agrarpolitik haben, rennen wir immer wieder gegen die Wand“, gibt er angesichts des Weltbevölkerungswachstums und des gleichzeitigen Rückgangs nutzbarer Ackerflächen zu bedenken. Er fordert dringend neue Steuerungsinstrumente, damit angesichts der hohen Flächennutzungskonkurrenz verantwortungsvolle Nutzungsentscheidungen getroffen werden können.

2. Berücksichtigung und Entlohnung der Gemeinwohlfunktion von Grund und Boden

In der Vergangenheit wurde der Boden vor allem auf seine Funktion als Standort beschränkt: Standort für Wohnraum, Standort für Gewerbe, Standort für den Straßenbau, Standort für die Landwirtschaft. Doch der Boden hat sehr viel mehr Funktionen, und die Frage, was mit ihm geschieht und wie wir ihn nutzen hat Auswirkungen auf uns alle und auf unsere Umwelt. Die Klimadiskussion hat zuletzt insbesondere humose Böden als Kohlenstoffspeicher und damit als Luftverbesserer und Klimaregulierer ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Böden sind zudem Lebensräume, Wasserfilter, und Wasserspeicher. Landwirtschaftliche Bodenbewirtschaftungsformen können außerdem prägende Elemente in identitätsstiftenden Kulturlandschaften sein.

„Ich denke da zum Beispiel an den Streuobstanbau in der fränkischen Schweiz oder die Hopfengärten und Sommergerstenflächen in Oberfranken“, so Seibert. Zusammengefasst leistet Boden also eine Vielzahl an Gemeinwohlfunktionen, die bisher bei den Entscheidungen darüber, wie Flächen genutzt werden, so gut wie keine Rolle spielen. Dass sich dies ändern muss, darüber herrscht Einigkeit unter den Kongressteilnehmern.

„Die ökologischen Leistungen der Landwirte müssen sich für diese auch finanziell lohnen.“
Prof. Dr. Otmar Seibert, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf

Die ökologische Landwirtschaft liefert bereits viele Antworten auf die Frage, wie mit dem kostbaren Gut Boden verantwortungsvoll umgegangen werden kann. „Doch die ökologischen Leistungen der Landwirte müssen sich für diese auch finanziell lohnen. Und Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für Infrastrukturprojekte müssen für Landwirte zu Einkommensquellen werden, ihnen Planungssicherheit geben“, fordert Bottermann. Dabei müsse man auch Mischformen zwischen bio und konventionell zulassen. Für Dr. Dorit Kuhnt, Staatssekretärin im Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein, ist der „gefühlte Konflikt zwischen Landwirtschaft und Natur“ absurd: „Die Landwirtschaft schaut eifersüchtig auf Ausgleichsflächen. Diese Konkurrenzsituation muss man auflösen und intelligentere Lösungen zur Nutzung finden“. Gemeint sind hiermit Formen der Land- und Forstwirtschaft, die zugleich eine ausgleichende Funktion haben.

Seibert verspricht sich von der Berücksichtigung und Bepreisung der Gemeinwohlleistungen des Bodens auch fairere Lebensmittelpreise. „Die Strukturen, die wir haben, bevorzugen großbetriebliche Landwirtschaft, in der nicht mehr Lebensmittel, sondern nur noch Rohstoffe – deren Preis sich am Weltmarkt orientiert – von Großbetrieben hergestellt werden. Konventionelle Preise für Massenprodukte werden durch Subventionen künstlich niedrig gehalten, während Bioprodukte hier nicht im fairen Wettbewerb stehen. Wir brauchen Preise, die wirklich vergleichbar sind.“ Durch eine Honorierung der Gemeinwohlleistungen des Bodens werde dieses Ziel greifbar.

„Wir müssen die Marktwirtschaft ökologisch zähmen.“
Josef Taucher, Organic Cities Network Europe, Stadt Wien

Auch Josef Taucher aus Wien vom Organic Cities Network Europe plädiert dafür, die tatsächlichen Kosten der Lebensmittelproduktion nicht weiter zu externalisieren: „Tier und Umwelt werden systematisch ausgebeutet. Wir brauchen eine Kapitalismuskritik, wir müssen die Marktwirtschaft ökologisch zähmen“. Wie schwierig dies werden könnte gibt Felix Prinz zu Löwenstein zu bedenken: „Mehr Tierwohl beispielsweise braucht mehr Geld“, das verstünden die meisten. Dass Fleischesser deshalb aber mehr zahlen sollen, sähen die wenigsten ein. „Die gesellschaftliche Reife für echte Kosten“ sei also nicht überall vorhanden. Faire Preise fordert auch Kuhnt. Sie kritisiert den Preiskampf des Lebensmittel-einzelhandels und betont insbesondere, dass sich vor allem „Bio vor Ort mehr lohnen“ müsste: „Wenn ich im Supermarkt Biomöhren aus China kaufe, dann kann ich es auch seinlassen. Wenn wir Bio nachhaltig erhöhen wollen, müssen sich Verbraucher und Hersteller anpassen“.

3. Förderung der urbanen Landwirtschaft als klimafreundliches Modell der Lebensmittelproduktion

„Die Großstadt ist die umweltfreundlichste Organisation menschlichen Lebens“ – eine durchaus provokative Aussage von Nürnbergs Oberbürgermeister Maly, der sich hier primär auf den geringen Flächenverbrauch pro Großstadtbewohner im Vergleich zum ländlichen Raum bezieht. Wer die Richtigkeit seiner Aussage anzweifelt, dürfte angesichts der positiven Entwicklungen im Bereich der urbanen Landwirtschaft zumindest etwas Hoffnung schöpfen. Dass es sich dabei besonders angesichts des Klimawandels um ein zukunftsträchtiges Modell handelt, kann einhellig mit ja beantwortet werden. Wichtig sei jedoch, dass sich urbane und regionale Landwirtschaft gegenseitig ergänzen, was eine übergreifende Koordination erfordert.

„Die Großstadt ist die umweltfreundlichste Organisation menschlichen Lebens“
Dr. Ulrich Maly, Oberbürgermeister der Bio-Stadt Nürnberg

Um die urbane Landwirtschaft weiter zu fördern, sei es wichtig, konkrete Projekte finanziell zu unterstützen und auszuzeichnen. Außerdem solle mehr Pflanzenanbau auf Dächern ermöglicht werden, wie es etwa in Paris oder Brooklyn bereits der Fall ist.

Problematisch gestalte sich bisher das Thema Bio-Standards im Zusammenhang mit einigen urbanen Landwirtschaftsformen, denn die Standards verlangen, dass Pflanzen in der Erde wachsen. Die urbane Landwirtschaft geht jedoch mitunter aus Gründen der Statik und der Wasser- und Nährstoffverfügbarkeit oft neue Wege: so wird z.B. in der sogenannten Aquaponik die Aufzucht von Fischen und der Anbau von Kulturpflanzen in Substrat verbunden. Das alles funktioniert ohne den Einsatz von Pestiziden und künstlichen Düngemitteln, kann jedoch aufgrund des fehlenden Bodens bislang nicht biozertifiziert werden.

4. Kommunale Maßnahmen gegen den Betriebs-Schwund im Handwerk

Mit dem Schwund landwirtschaftlicher Flächen geht zugleich ein Schwund in Verarbeitungs- und Veredelungsbetrieben – dem Lebensmittelhandwerk – in den Regionen einher. Dies wirkt sich negativ auf die regionale Wertschöpfung und Beschäftigung aus. In der Konsequenz gewinnen Großkonzerne zunehmend Macht über unsere Ernährungsgewohnheiten. Gleichzeitig haben vor allem jüngere Generationen eine immer vagere Vorstellung davon, wo unser Essen herkommt, wie es hergestellt wird und was es uns wert sein sollte.

Dass die Kommunen dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen dürfen, sondern hier aktiv entgegenwirken müssen, verstehe sich von selbst. „Ein Patentrezept gibt es hierfür aber nicht“, so Dr. Werner Ebert von der Bio-Metropole Nürnberg und Geschäftsführer des Bio-Städte Netzwerks. Vielmehr müssten für jede Region die individuell richtigen Weichen in Sachen Infrastruktur gestellt sowie eine überbetriebliche Vernetzung der Handwerksbetriebe organisiert werden. Auch Imagebildung, z.B. durch die Auszeichnung von Demonstrationsbetrieben, sei notwendig, um dem Betriebsschwund im Lebensmittelhandwerk entgegenzuwirken. „Ich habe z.B. schon von Bio-Spitzenköchen, aber noch nicht von Bio-Spitzenbäckern gehört“, so Ebert, der sich sicher ist: mehr Wertschätzung und Anerkennung aus der Bevölkerung kann nur dann entstehen, wenn Betriebe sich interessant, wertschöpfend und idealerweise ökologisch präsentieren.

„Ich habe z.B. schon von Bio-Spitzenköchen, aber noch nicht von Bio-Spitzenbäckern gehört.“
Dr. Werner Ebert, Bio-Metropole Nürnberg, Geschäftsführer Netzwerk Bio-Städte

Um mehr Handwerksbetriebe dazu zu bewegen, auf Bio umzustellen, kristallisieren sich im Laufe der Diskussionen zwei wichtige Bedingungen heraus: Erstens sollten Handwerksbetriebe wie Metzger oder Bäcker bei der Umstellung auf Bio Fördermittel bekommen. In der Landwirtschaft sei dies längst der Fall, das Handwerk trüge die Umstellungskosten bislang ganz allein. Zweitens wäre es wichtig, dass wie bei dem Vorbild der Stadt Nürnberg schon in der Ausbildung Bio eine Rolle spiele: Die städtische Berufsschule für Köche, Gastro- und Hotelfachkräfte in Nürnberg ist als erste ihrer Art biozertifiziert. Das bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler schon in der Ausbildung ausschließlich mit ökologisch unbedenklichen, nachhaltig produzierten Lebensmitteln arbeiten – und auch lernen, hiermit verantwortungsvoll zu wirtschaften.

5. Chancen für mehr Bio und mehr Gesundheit in der öffentlichen Verpflegung

In den letzten Jahren zeichnet sich allmählich ein Trend weg vom reinen Catering in der öffentlichen Verpflegung ab. „Kommunen nehmen die Essensversorgung in Kitas, Schulen, Seniorenheimen und öffentlichen Kantinen zunehmend wieder selbst in die Hand“, berichtet Ebert. Dieser Trend berge Gestaltungsmöglichkeiten für eine gesündere Ernährungspolitik mit mehr biologischen und regionalen Produkten. Damit diese Chancen nicht vertan werden, müssten einige Hürden aus dem Weg geräumt werden. Eine große Hürde stelle das EU-Vergaberecht dar, welches mit dem sogenannten Diskriminierungsverbot die explizite Ausschreibung regionaler Produkte verbietet. Das müsse sich ändern – doch wer könnte dieses Thema wirksam bis auf EU-Ebene weitertragen? Eine Möglichkeit wäre, diese Verantwortung dem Organic Cities Network zu übertragen. Die zweite Problematik sei die Schwierigkeit, konkret zu definieren, was „gesündere“ öffentliche Verpflegung in der Umsetzung eigentlich bedeute.

Zukunftsweisend und vorbildlich ist die „Kantine Zukunft Berlin“. Die Kantine Zukunft möchte das Essen von der KiTa bis zum Seniorenheim, von der Firma bis zur Freizeiteinrichtung, von der JVA bis zum Krankenhaus, gemeinsam mit den Küchen-Teams weiter verbessern. Vorbild ist Kopenhagen, wo über die Erhöhung des Bio-Anteils im Essen und eine intensive Zusammenarbeit mit den Küchen-Teams, die Mahlzeiten leckerer, gesünder und umweltfreundlicher geworden sind. Dieses Kopenhagener Modell wird jetzt mit der Kantine Zukunft zu einem für Berlin passenden Modell weiterentwickelt. Die zentralen Instrumente werden auch in Berlin das Erhöhen des Bio-Anteils und das Beraten und Coachen von Küchenteams sein.

6. Gesunde Ernährung braucht mehr als die DGE-Richtlinien

Müssen wir unseren Kindern ungesunde Lebensmittel verbieten? Was ist überhaupt gesund, was ungesund – und wer könnte diese Frage wohl am Besten beantworten? Ärzte? Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE)? Das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL)? Die Veranstalter des STADTLANDBIO Kongresses setzen auf eine authentische Alternative: eine Mutter, die sich um die Gesundheit ihres Kindes sorgt.

„Ernährung ist in vielen Einrichtungen nichts als Körperverletzung“
Ulrike von Aufschnaiter, Unternehmensberaterin und Autorin

Ulrike von Aufschnaiter ist erfolgreiche Unternehmensberaterin, als bei ihrem Kind die Diagnose „Kreidezähne“ gestellt wird – eine Zahnschmelzstörung, die sowohl deutschland- als auch weltweit immer weiter um sich greift. Bei der Ursachenforschung kann ihr kein Arzt befriedigende Antworten geben, weshalb sie sich an die DGE und das BMEL wendet. Auch hier wird sie mit unzureichenden Informationen enttäuscht, doch sie findet sich damit nicht ab, forscht weiter, gräbt sich tief in die Materie hinein. Und erkennt dabei, dass ein engmaschiges Geflecht aus Politik, Ärzten, Behörden, Wissenschaftlern, Journalisten und Konzernen ungesunde Ernährungsgewohnheiten propagiert.

Ihre Erkenntnisse schreibt sie in dem Buch „Deutschlands Kranke Kinder – Wie auf Anweisung der Regierung Kitas und Schulen die Gesundheit unserer Kinder schädigen“ nieder, und teilt diese mit den Kongressteilnehmern. Ihr Fazit: unsere Ernährung – und insbesondere die unserer Kinder – enthält zu wenig Mikronährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe. Selbst wenn die Rohstoffe, aus denen unsere Nahrungsmittel hergestellt werden, jene Stoffe enthalten, so gehen sie häufig während aufwändiger Verarbeitungsprozesse verloren. Zwar lässt Aufschnaiter sich nicht zu der pauschalen Aussage hinreißen, dass biologisch produzierte Lebensmittel grundsätzlich mehr Mikronährstoffe enthalten, jedoch seien sie „deutlich weniger mit Pestiziden belastet und dadurch als gesünder einzustufen“ als konventionelle Lebensmittel. Sie plädiert zudem dafür, dass Landwirten schon in der Ausbildung das Verständnis vermittelt werden muss, was ihre Lebensmittel mit uns machen. „Landwirte lernen, wie sie die Sau versorgen, aber nicht, wie sie unsere Kinder versorgen“.

Die Politik drängt sie, die Bevölkerung besser aufzuklären und sich nicht mit den fragwürdigen Empfehlungen der DGE abzufinden. Stattdessen solle man sich intensiver mit den Details gesunder Ernährung auseinandersetzen und mithilfe politischer Instrumente die Produktion gesunder Lebensmittel fördern. „Ernährung ist in vielen Einrichtungen nichts als Körperverletzung“, empört sie sich. „Wir brauchen von oben eine andere Marschrichtung, einen Paradigmenwechsel!“ Auf die Frage, wer diesen anstoßen könnte, regt sie an, dass sich z.B. die Biostädte für gesündere Ernährungsrichtlinien als die der DGE starkmachen sollten. Für Dr. Peter Pluschke vom Referat für Umwelt und Gesundheit der Stadt Nürnberg sind übrigens die Biostädte „die Mikronährstoffe unseres Systems: sie sind absolut notwendig und wirken in kleiner Dosis“ – ein klares Indiz dafür, dass sie in Sachen gesunde Ernährung eine Vorreiterrolle einnehmen sollten.

Auch Dr. Claudia Heidbrink, Leitung des Fachzentrums Ernährung und Gemeinschaftsverpflegung des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aus Fürth, kritisiert die Richtlinien der DGE als „zu schwammig“. Dennoch bilden diese die Grundlage für ihre Beratung von Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung. Sie hat für ihre Empfehlungen jedoch zusätzliche Kriterien erarbeitet. Ernährung solle vielfältig und frisch sein, Lebensmittel sollten möglichst komplett verwertet werden, die Zubereitung und das Essen selbst dürften Zeit kosten. Sie rät zu alten Sorten und überwiegend pflanzlicher Ernährung. Beim ‚was‘ wir Essen empfiehlt sie, mehr auf unser Bauchgefühl und unsere Intuition zu hören.

„Die Richtlinien der DGE sind an vielen Stellen zu schwammig.“
Dr. Claudia Heidbrink; Leitung des Fachzentrums Ernährung und GemeinschaftsVerpflegung; Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten; Fürth

Uneinig sind sich die beiden Referentinnen beim Thema Verbote: während Aufschnaiter den Konsum ungesunder Lebensmittel wie Schokolade und Chips gleichstellt mit dem Konsum von Zigaretten und Alkohol – den wir unseren Kindern schließlich auch verbieten – hält Heidbrink nichts von Verboten und meint: „pauschale Verbote pushen den Zuckerkonsum“. Sie spricht sich jedoch klar und deutlich dagegen aus, dass Kinder mit Süßigkeiten belohnt werden.

Das aktuelle Kongressprogramm finden Interessierte unter: www.stadtlandbio.de

Quelle: NürnbergMesse