Hat die Nachhaltige Aquakultur in Deutschland eine Zukunft?

Die Aquakultur, also die kontrollierte Erzeugung von Wasserorganismen wie Fischen, Muscheln, Garnelen oder Algen, gilt als der am schnellsten wachsende Zweig der Lebensmittelproduktion weltweit.

Dagegen fristet die Aquakultur in Deutschland ein Nischendasein. Unter 3 Prozent des deutschen Fischkonsums werden zurzeit durch heimische Aquakultur abgedeckt. Die im Rahmen des Nationalen Strategieplans Aquakultur* (NASTAQ) bis zum Jahr 2020 gesetzten Produktionsziele werden klar verfehlt, Deutschland bleibt stark von Importen abhängig. Dabei könnte das Potenzial für eine stärkere Eigenversorgung und für den Export von Fisch mit nachhaltigen Verfahren entwickelt werden, statt den Nutzungsdruck auf aquatische Ökosysteme und mögliche Umweltfolgen ins Ausland zu verlagern.

Zu dieser Einschätzung kommen Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) im heute veröffentlichten IGB Policy Brief „Nachhaltige Aquakultur in Deutschland – Chancen und Herausforderungen“. Ob die Nachhaltige Aquakultur in Deutschland überhaupt eine Zukunft hat, ist jedoch keine rein technisch oder wissenschaftlich zu lösende Frage. Vielmehr ist eine gesellschaftliche und auch politische Diskussion darüber notwendig, wie bzw. ob sich die Aquakultur in Deutschland weiter entwickeln kann – und soll.

„In Deutschland sind Nahrungsmittel im Vergleich zu anderen Ländern sowohl in Quantität als auch Qualität gut verfügbar. Es ist daher zunächst eine freie und individuelle Entscheidung, ob Verbraucher*innen sich grundsätzlich für den Verzehr von Fisch als tierisches Produkt entscheiden“, betont Prof. Werner Kloas, Leiter der Abteilung Ökophysiologie und Aquakultur am IGB und Mitautor des Policy Briefs. Die Marktzahlen zeigten aber, dass Fisch kontinuierlich nachgefragt werde. Gleichzeitig sei klar, dass sich der Wildfang aus den Ozeanen nicht mehr steigern lasse, obwohl die Nachfrage weltweit steige.

„Die Aquakultur kann dazu beitragen, diesen Herausforderungen zu begegnen“, ergänzt IGB-Forscher Dr. Fabian Schäfer, Mitautor des IGB Policy Briefs. Laut Welternährungsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen stamme schon jetzt über die Hälfte der weltweit konsumierten Fischprodukte aus der Aquakultur – Tendenz steigend. „Dieser Ausbau muss aber dringend nachhaltig gestaltet werden, um der weiteren Übernutzung natürlicher Ressourcen entgegenzuwirken – sonst ist wenig gewonnen“, unterstreicht Fabian Schäfer.

Chancen: Die Nachhaltige Aquakultur hat in Deutschland Potenzial

Insgesamt kommen die IGB-Forschenden zum Schluss, dass Deutschland bezüglich Wasser, Fläche, Technik, Know-how und Kaufkraft prinzipiell über genügend Ressourcen verfügt, um die eigene Produktion von Speisefischarten für den Binnen- und Exportmarkt mit nachhaltigen Verfahren deutlich zu erhöhen. Potenzial wird insbesondere bei landbasierten (teil-)geschlossenen Kreislaufanlagen (KLA) gesehen, die auch in andere bestehende Produktionskreisläufe integriert werden können. So lassen sich Synergieeffekte bei Energie-, Wasser-, Wärme- und Kälteversorgung nutzen oder anfallende Nährstoffe recyceln.
Durch die Regionalisierung der Aquakultur und vergleichsweise hohe Umweltstandards können die Qualität von Tierhaltung, Tierwohl und Produkt sowie die Versorgungssicherheit und die örtliche Wertschöpfung in Deutschland bei gutem Management grundsätzlich gesteigert werden, erläutern die Wissenschaftler.

Herausforderungen: Höhere Produktionskosten und Verbraucher*innen-Akzeptanz

Neben den genannten Chancen muss allerdings auch transparent über die bestehenden Herausforderungen gesprochen werden, halten die Autoren fest. Dies betrifft zum Beispiel die höheren Produktionskosten in KLA: Investitions-, Energie- und Fachpersonalkosten schlagen sich in einem teureren Produkt nieder, das mit günstigen Importen, bei denen auch die Umweltkosten ins Ausland verlagert wurden, kaum konkurrieren kann. „Aber nachhaltiger Fisch aus KLA-Produktion hat seinen Preis. Ohne höhere tatsächliche Zahlungsbereitschaft von Handel und Konsument*innen wird sich diese Form der Aquakultur voraussichtlich nicht flächendeckend in Deutschland durchsetzen können“, erklärt Fabian Schäfer.

Eine weitere Herausforderung für die Branche besteht laut der IGB-Analyse darin, das Verständnis der Verbraucher*innen für Fischhaltung in technischen Systemen zu erlangen. Denn naturnahe bzw. in die Natur eingebettete Produktionssysteme werden von Menschen emotional häufig als „stimmiger“ beurteilt, technische Kreislaufsysteme dagegen wirken eher abschreckend. Dieses Phänomen ist auch aus anderen Konsumbereichen bekannt, oft im Kontext einer relativ idealisierten und romantisierten Vorstellung von moderner Nahrungsmittelproduktion. Viele Verbraucher*innen kennen Fisch nur als verarbeitetes und verzehrfertiges Produkt im Warenregal, das in den meisten Fällen importiert wurde. Häufig findet die Aquakultur-Produktion im Ausland unter geringeren Sozial- oder Umweltstandards statt. Diese vorgelagerten Produktionsbedingungen und die mit ihnen verbundenen Umwelteffekte bleiben jedoch weitgehend unbekannt – oder werden ausgeblendet.

Hat die Nachhaltige Aquakultur in Deutschland eine Zukunft? Politik und Gesellschaft müssen entscheiden

„Insgesamt zeigt die Situation, dass eine öffentliche und politische Diskussion über die Ansprüche an und Vorstellungen von moderner und nachhaltiger Aquakultur geführt werden muss. Dabei sollten jedoch keine einseitig werbenden Marketingbotschaften für die Aquakultur verbreitet werden, sondern Vorbehalte und Anregungen aus der Gesellschaft aufgenommen werden“, betont Werner Kloas. „Als öffentliches und unabhängiges Forschungsinstitut unterstützen wir diesen Prozess mit faktenbasiertem Forschungswissen. Aber ob Aquakultur grundsätzlich erwünscht ist und wie diese sich entwickeln sollte, ist das Resultat von politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen.“

*) Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind verpflichtet, einen mehrjährigen nationalen Strategieplan für die Entwicklung der Aquakultur zu erstellen. Der Nationale Strategieplan Aquakultur für Deutschland (NASTAQ) soll Möglichkeiten und Ziele des gesamten deutschen Aquakultursektors abbilden und wurde erstmals 2014 veröffentlicht. Die für das Jahr 2020 formulierten Ziele wurden jedoch deutlich verfehlt.

Im Jahr 2020 erfolgt die Aktualisierung und Überarbeitung des NASTAQ, der bis 2030 gelten soll. Im Rahmen der öffentlichen Konsultation hat das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), Deutschlands größtes Forschungszentrum für Binnengewässer, dazu eine Stellungnahme eingereicht. Zusätzlich macht das IGB seine Einschätzung in diesem IGB Policy Brief der Öffentlichkeit zugänglich.

Kontakt:

Dr. Fabian Schäfer
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Abteilung Ökophysiologie und Aquakultur
schaefer(at)igb-berlin.de
030/64181790

Prof. Dr. Werner Kloas
Leiter der Abteilung Ökophysiologie und Aquakultur am IGB
werner.kloas(at)igb-berlin.de
030/64181630

IGB Wissenstransfer
Johannes Graupner
graupner(at)igb-berlin.de
030/64181703

Über das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)

„Forschen für die Zukunft unserer Gewässer“ ist der Leitspruch des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Das IGB ist das bundesweit größte und eines der international führenden Forschungszentren für Binnengewässer. Es verbindet Grundlagen- und Vorsorgeforschung, bildet den wissenschaftlichen Nachwuchs aus und berät Politik und Gesellschaft in Fragen des nachhaltigen Gewässermanagements. Forschungsschwerpunkte sind u. a. die Langzeitentwicklung von Seen, Flüssen und Feuchtgebieten und die Auswirkungen des Klimawandels, die Renaturierung von Ökosystemen, der Erhalt der aquatischen Biodiversität sowie Technologien für eine nachhaltige Aquakultur. Die Arbeiten erfolgen in enger Kooperation mit den Universitäten und Forschungsinstitutionen der Region Berlin-Brandenburg und weltweit. Das IGB gehört zum Forschungsverbund Berlin e. V., einem Zusammenschluss von acht natur-, lebens- und umweltwissenschaftlichen Instituten in Berlin. Die vielfach ausgezeichneten Einrichtungen sind Mitglieder der Leibniz-Gemeinschaft.

Quelle: IGB