Investitionen in europäische Unternehmen für alternative Proteine steigen um 24 %

Deutschland droht Anschluss zu verlieren.

  • Die Investitionen in europäische Unternehmen für alternative Proteinquellen sind 2022 um insgesamt 24 % gestiegen — trotz weltwirtschaftlicher Turbulenzen.
  • In Deutschland sind die Venture-Capital-Investitionen in alternative Proteine auf den Stand von 2020 zurückgefallen — hier ist der Sektor vor allem durch Partnerschaften und strategische Investitionen von etablierten Unternehmen weiter gewachsen.
  • In Österreich haben sich die Investitionen in alternative Proteine gegenüber 2021 vervierfacht, in der Schweiz haben sie sich fast verdoppelt.

Europäische Unternehmen, die nachhaltige Alternativen zu tierischen Produkten herstellen, haben im vergangenen Jahr trotz ökonomischem Gegenwind mehr Investitionen einwerben können als 2021. Dies zeigt eine neue Auswertung von PitchBook-Daten durch das Good Food Institute (GFI) zu Investitionen in pflanzenbasiertes und kultiviertes Fleisch und andere alternative Proteinquellen.

Insgesamt haben europäische Unternehmen für alternative Proteine 2022 Investitionen in Höhe von 579 Millionen Euro (622 Millionen US-Dollar) eingeworben, was einem Anstieg von 24 % gegenüber dem Jahr 2021 entspricht. Dabei sind die Investitionen vor allem in solchen Ländern gewachsen, in denen es Aufholbedarf gab — so etwa in Frankreich, Spanien und der Schweiz.

  • Im Bereich pflanzenbasierter Produkte stiegen die Investitionen in Europa um 15 % auf 284 Millionen Euro (305 Millionen US-Dollar). Die größte Einzelinvestition im pflanzenbasierten Bereich und auch im gesamten europäischen Sektor für alternative Proteine konnte 2022 das Schweizer Startup Planted einwerben. Planted, das pflanzliche Fleischalternativen herstellt, hat eine Serie-B-Finanzierungsrunde mit 70 Millionen Schweizer Franken (73 Millionen US-Dollar) abschließen können.
  • Im Bereich kultiviertes Fleisch, in dem echtes Fleisch aus tierischen Zellen gewonnen wird, stiegen die Investitionen um 30 % auf 120 Millionen Euro (129 Millionen US-Dollar). Das ist mehr als die Hälfte des Gesamtbetrags, den europäische Unternehmen zwischen 2016 und 2021 einsammeln konnten. Herausragend waren in diesem Bereich Investitionen in Gourmey (Frankreich), BioTech Foods (Spanien) und Ivy Farm Technologies (Großbritannien).
  • Im Bereich Fermentation, bei dem Mikroorganismen für die Herstellung von Alternativprodukten genutzt werden, stiegen die Investitionen um 37 % auf 175 Millionen Euro (188 Millionen US-Dollar). Die größten Investitionen im Bereich Biomassefermentation entfielen auf Mycorena (Schweden) und Mushlabs (Deutschland), im Bereich Präzisionsfermentation auf Better Dairy (Großbritannien) und Onego Bio (Finnland).

Weltweit sind die Investitionen in alternative Proteinquellen im vergangenen Jahr allerdings zurückgegangen, und zwar von 4,8 Milliarden Euro (5,1 Milliarden US-Dollar) im Rekordjahr 2021 auf 2,7 Milliarden Euro (2,9 Milliarden US-Dollar). Damit spiegelt die Entwicklung im Bereich alternative Proteine den allgemeinen Trend zu einem Rückgang der Venture-Capital-Investitionen infolge der angespannten Lage auf den weltweiten Märkten wider.

Während sich der gesamteuropäische Markt diesem Rückgang entziehen konnte, sind die Venture-Capital-Investitionen in Deutschland nach dem Rekordjahr 2021 zurückgegangen. Dennoch war 2022 nach 2021 das bislang zweitstärkste Jahr im Hinblick auf Investitionen in alternative Proteinquellen. Deutsche Unternehmen haben im vergangenen Jahr Investitionen in Höhe von 53 Millionen Euro (57 Millionen US-Dollar) angezogen. Dies ist ein Rückgang in Höhe von 41 %. Damit liegt die Entwicklung im Bereich alternative Proteine im allgemeinen Trend, denn laut Startup-Barometer von EY sind die Venture-Capital-Investitionen in Deutschland 2022 über alle Branchen hinweg um 43 % zurückgegangen.

Die größten Investitionen in Deutschland konnten das Biomassefermentation-Startup Mushlabs mit 17 Millionen Euro (18 Millionen US Dollar) und das Plantbased-Unternehmen Greenforce mit 12 Millionen Euro (13 Millionen) einwerben. Zu den weiteren Unternehmen, die hier Finanzierungsrunden erfolgreich abschließen konnte, gehören Unternehmen, die an pflanzlichen Eialternativen arbeiten (Neggst und Perfeggt), sowie weitere Unternehmen im Bereich Biomassefermentation (MicroHarvest und Bosque Foods).

In Österreich haben sich die Investitionen von 2,5 Millionen Euro (2,7 Millionen US-Dollar) auf 10 Millionen Euro (11 Millionen US-Dollar) vervierfacht. Hervorstechend war in Österreich eine Investition in das Gasfermentations-Unternehmen Arkeon. In der Schweiz sind die Investitionen von 41 Millionen Schweizer Franken (44 Millionen US-Dollar) auf 76 Millionen Schweizer Franken (82 Millionen US-Dollar) gestiegen und haben sich somit annähernd verdoppelt. Neben der europaweit größten Einzelinvestition in Planted haben auch Planetary und Cultivated Biosciences erfolgreiche Finanzierungsrunden abschließen können, die beide im Bereich Präzisionsfermentation tätig sind.

In den deutschsprachigen Ländern ist der Sektor für alternative Proteinquellen 2022 vor allem über Partnerschaften und über strategische Investitionen gewachsen, die über die reine Finanzierung von Startups mit Venture-Kapital hinausgehen. Dies ist ein Zeichen dafür, dass der Sektor allmählich reift. Bereits in den vergangenen Jahren hatten sich etablierte Unternehmen der Lebensmittelindustrie in Deutschland und der Schweiz an innovativen Startups im In- und Ausland beteiligt: so etwa die PHW-Gruppe an SuperMeat, Hochland an Remilk sowie Nestlé an Believer Meats.

Dieser Trend hat sich im vergangenen Jahr fortgesetzt: Das zweitgrößte deutsche Fleischunternehmen InFamilyFoods hat sein Portfolio um einen pflanzenbasierten Geschäftsbereich (Planty Butchers mit der Marke Billie Green) und um eine B2B-Plattform für kultiviertes Fleisch und Präzisionsfermentation (The Cultivated B) erweitert, mit Investitionen im dreistelligen Millionenbereich. Der deutsche Marktführer im Bereich pflanzenbasierter Fleisch- und Wurstwaren, Rügenwalder Mühle, hat eine Partnerschaft mit dem Schweizer Startup Mirai Foods geschlossen, um ein pflanzliches Produkt mit kultiviertem Fett zu entwickeln. In der Schweiz hat der größte Handelskonzern Migros in das israelische Startup SuperMeat investiert, um gemeinsam mit dem Unternehmen eine Infrastruktur aufzubauen, mit der sich kultiviertes Fleisch in den Handel bringen lässt.

In der Gesamtschau zeigt sich, dass private Investitionen nicht ausreichen, um den Sektor für alternative Proteine in der gebotenen Geschwindigkeit zu entwickeln, und dass es auch öffentliche Investitionen in den Sektor braucht. Mehr öffentliche Investitionen versetzen die Unternehmen in die Lage, ihre Produkte schneller im industriellen Maßstab herzustellen und die Preise zu senken, so dass sie für alle bezahlbar und verfügbar sind.

Laut einem Report der Boston Consulting Group sind pflanzliche Proteine der Wirtschaftsbereich, in dem ein investierter Euro den größten Effekt für den Klimaschutz hat. Doch während andere europäische Länder — wie Dänemark, Großbritannien, die Niederlande und Norwegen — in den letzten Monaten größere öffentliche Investitionen in alternative Proteinquellen getätigt haben, sind vergleichbare Initiativen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgeblieben.

Carlotte Lucas, Senior Corporate Engagement Manager bei GFI Europe:
„Der deutsche Sektor für alternative Proteine ist durch innovative Startups, vor allem aber auch durch starke Industrieunternehmen geprägt. Immer mehr etablierte Unternehmen erkennen das wirtschaftliche Potenzial und investieren in pflanzliche und kultivierte Alternativen. Das ist ein ermutigendes Signal für den gesamten Sektor, denn es braucht solche Partnerschaften, um pflanzliches und kultiviertes Fleisch für die gesamte Gesellschaft verfügbar und erschwinglich zu machen.”

Ivo Rzegotta, Public Affairs Manager Deutschland bei GFI Europe:
„Wir können uns beim Aufbau eines nachhaltigeren Ernährungssystems nicht allein auf private Investitionen verlassen, sondern brauchen deutlich mehr öffentliche Investitionen. Im Moment sind alternative Proteinquellen an dem Punkt, an dem Solarpanele in den 1990er Jahren waren — es gibt sie und sie sind eine Option für umweltbewusste Verbraucher, die bereit sind, einen Aufpreis zu zahlen. Damit alternative Proteine ihr volles Potenzial für den Klima- udn Gesundheitsschutz entfalten können, braucht es aber massive Investitionen, um die Qualität zu verbessern und die Produktionskosten zu senken.”

 

Über das Good Food Institute Europe

Das Good Food Institute Europe ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die alternative Proteinquellen vorantreibt, um das globale Ernährungssystem nachhaltiger, sicherer und gerechter zu machen. Das Good Food Institute arbeitet mit Wissenschaft, Unternehmen und Politik daran, pflanzenbasierte und kultivierte Fleisch-, Fisch-, Eier-, Milchprodukte zu fördern, so dass diese schmackhaft, günstig und überall in Europa erhältlich sind. Die Arbeit des Good Food Institute wird vollständig aus Spenden finanziert.

Pressekontakt: Ivo Rzegotta, 0151- 40064530, ivor@gfi.org

Anmerkungen

Zur Methode

Für die Ermittlung der Investitionstätigkeit erstellte das Good Food Institute auf Basis seiner Unternehmensdatenbank eine Liste von Unternehmen, die an alternativen Proteinquellen arbeiten (in den Bereichen Pflanzenbasiert, Kultivierung und Fermentierung) und von PitchBook Data Inc. erfasst werden. Solche Unternehmen, die sich zwar auch mit alternativen Proteinen beschäftigen, dies aber nicht in ihrem Kerngeschäft tun, wurden nicht berücksichtigt. Auch Unternehmen, die sich in einem sehr frühen Entwicklungsstadium befinden und noch kein Profil auf PitchBook haben, konnten nicht in die Analyse einbezogen werden. Für die ermittelten Unternehmen wurde anhand der PitchBook-Datenbank das investierte Kapital ermittelt. Die Daten für 2022 beziehen sich auf den 52-Wochen-Zeitraum bis zum 31. Dezember 2022. Da wir unseren Datensatz kontinuierlich verbessern, können die Daten aus früheren Jahren von zuvor von GFI veröffentlichten Zahlen abweichen. Die Angaben wurden mit dem Wechselkurs vom 8. Februar 2023 von US-Dollar in Euro umgerechnet. Die Auswertung wurde nicht von PitchBook-Analysten überprüft.

Zum Begriff „kultiviertes Fleisch”

Das Good Food Institute verwendet den Begriff „kultiviertes Fleisch”, weil sich die Zellen dabei in Kultivatoren vermehren, die ihnen die Wärme und die notwendigen Nährstoffe bieten. Es gibt auch andere Bezeichnungen für kultiviertes Fleisch, etwa „Clean Meat” oder „In vitro-Fleisch”, die das eigentliche Herstellungsverfahren aber nicht akkurat beschreiben. Besonders irreführend ist der Begriff „Laborfleisch”. In industriellem Maßstab wird kultiviertes Fleisch nicht in einem Labor hergestellt, sondern in einem Kultivator – als Teil einer Anlage, die einer Brauerei ähnelt. Alle Arten von Lebensmitteln werden regelmäßig im Labor untersucht, auch zum Beispiel Cornflakes. Niemand käme deshalb auf die Idee, Cornflakes „Labor-Cornflakes” zu nennen.

Zur Bebilderung von kultiviertem Fleisch

Für Ihre Berichterstattung über kultiviertes Fleisch können Sie unter Angabe der jeweiligen Quelle gerne auf Fotos in unserer Bilddatenbank zurückgreifen. Die Bilder finden Sie hier.

Quelle: gfi Europe