Bei dieser Bäuerin gibts keinen Food Waste

Im deutschen Mutterstadt nahe von Mannheim führt Heike Fehmel ein besonderes Unternehmen: Dank ihrer Firma «von Heike» vermeidet sie Food Waste.

Heike Fehmel bekämpft Food Waste. (dhu)

Denn was andere wegwerfen würden, verarbeitet sie in grossem Stil zu gefragten Produkten. Unterstützt wird sie dabei von ihrem Mann, von dessen 350-Hektaren-Betrieb sie viel Obst und Gemüse bezieht.

«Wer soll das alles bloss essen!», rief Peter Fehmel, als er vor lauter Eingemachtem die Kellerregale nicht mehr sah. Denn Ehefrau Heike verarbeitete in ihrer Küche unermüdlich all das Gemüse und Obst, das ihr Mann nicht an den Grosshandel verkaufen konnte. Zu grosse Tomaten, krumme Gurken und Rüebli, zu kleine Beeren. Der Vorrat im Keller wuchs, denn Familie und Betriebsangestellte kamen mit dem Essen der leckeren Produkte kaum nach.

Hobby wird zum Unternehmen

Der nur halb scherzhaft gemeinte Ausruf von Peter Fehmel brachte vor 13 Jahren vieles ins Rollen. Sohn Jochen, der für seinen Abschluss zum Betriebswirt eine Arbeit schreiben musste, redete seiner Mutter ins Gewissen: «Das, was du seit 17 Jahren als Hobby für uns und den Hofladen deiner Kollegin machst, solltest du endlich richtig anpacken.»

Was er mit «richtig» meinte, beschrieb er in seiner Abschlussarbeit zum Betriebswirt: Die Gründung einer Firma mit eigenem Brand und professionellem Marketing. Die Marke «von Heike» nahm ihren Anfang.

Mittlerweile produziert Heike Fehmel mit Unterstützung von vier Vollzeit- und vier Teilzeitmitarbeitenden sowie einer Aushilfe rund 140 verschiedene Produkte. «Mit Ausnahme von Himbeeressig und Himbeersecco produzieren wir alles in meiner Grossküche auf dem Betrieb», sagt die 62-jährige und fügt stolz hinzu: «Pro Jahr beträgt die Produktionsmenge etwa 300’000 Einheiten.»

Heruntergefallene Gurken verarbeitet «von Heike» zu einwandfreiem Eingemachtem. (dhu)

Alles verarbeiten, nichts wegwerfen

Sämtliches Obst und Gemüse wie auch die Beeren sind Ausschussware vom eigenen Grossbetrieb oder von Landwirten aus der näheren Umgebung. «Was für den Handel zu krumm oder zu eigen ist, kann seine Qualität in meinen Produkten gut entfalten. Mein Team produziert beste Produkte und schont dabei die Umwelt, weil wir so Food Waste vermeiden», sagt die Landwirtschaftsmeisterin selbstbewusst.

Das wissen die Betriebe in der Region längst. Immer wieder kommt es vor, dass ein Bauer am Freitagnachmittag Heike Fehmel anruft, um ihr etwas anzubieten, das er nicht mehr an den Handel verkaufen kann.

«Zucchetti zum Beispiel. Wenn die am Freitag schon fast so gross sind wie vom Markt verlangt, dann wären sie am Sonntag bei der Ernte für Montag schon zu gross. Also übernehme ich dieses Gemüse.» Auch wenn ihr am Freitagabend 400 Kilo Erdbeeren angeboten werden, sagt die Bäuerin zu. Denn dank ihres Netzwerks und dank der Angestellten ihres Mannes gelingt es ihr jeweils auch, all das spontan Gelieferte zu verarbeiten. «Erdbeeren frieren wir zum Beispiel gleich ein und kochen dann, wenn die Hauptsaison vorbei ist, Konfitüre und andere Brotaufstriche.»

Jetzt ist die Tomatenernte der «San Marzano» in vollem Gang. Diese besondere, italienische Sorte baut Peter Fehmel auf zwei Hektaren extra für «von Heike» an. Da die Tomaten wenig Säure enthalten, eignen sie sich gut für Saucen. Doch auch hier geht es Heike Fehmel darum, Lebensmittel zu retten: Ihr Mann verkauft einen Teil der gepflückten Tomaten weiter, sie übernimmt all jene, die auf dem Boden liegen. Da diese aber für all die Saucen nicht ausreichen, verwendet sie auch einen Teil der «makellosen» Tomaten.

Hohe Akzeptanz bei der Kundschaft

Wenn Heike Fehmel zurückblickt, ist sie stolz auf das Erreichte. «Vor 30 Jahren begann das alles als Hobby, weil ich schon damals nichts wegwerfen wollte, das sich noch in der Küche verarbeiten liess.» Bald schon sprach sich die Qualität ihrer Produkte herum, immer mehr Bekannte bestellten bei Heike.

Heute sind Hofläden, Metzgereien, Winzergenossenschaften und Bäckereien ihre Hauptkunden. An zwei Märkten im Jahr verkauft sie ihre Produkte direkt. Vor fünf Jahren erstellte sie zudem einen Onlineshop, über den etwa fünf Prozent ihrer Produkte gehandelt werden.

Stolz ist Heike Fehmel auch auf Reaktionen ihrer Kundschaft. «Immer mehr Leute wollen wissen, woher ihr Essen kommt – sie legen immer grösseren Wert auf Nachhaltigkeit und gesunde Nahrungsmittel. Die Akzeptanz meiner Produkte ist sehr gut», sagt die Geschäftsfrau zuversichtlich.

40 Hektaren Himbeeren

Diese Zuversicht teilt ihr Mann Peter Fehmel nur bedingt, wenn er von seinem Betrieb spricht, den er mit Heike seit 1996 führt und massiv vergrössert hat. Aus den damals 35 Hektaren Kartoffeln, Zwiebeln und weiteren Gemüsesorten sind bis heute 350 Hektaren geworden. Nach wie vor sind Zwiebeln und anderes Gemüse ein wichtiges Standbein, ein wirtschaftlicher Faktor sind aber auch die Himbeeren, die auf 40 Hektaren in Folientunnels wachsen.

Von den Beeren ernten Fehmels Angestellte bis zu 7,5 Tonnen pro Tag für einen Grosskunden. Damit die Himbeeren auch bei Hitze kräftig wachsen, sind die Folientunnels mit speziellen Netzen überzogen, die rund 30 Prozent der Sonneneinstrahlung abhalten. «Himbeeren sind sensibel – ziemlich rasch ist es ihnen zu heiss, zu nass, zu trocken», sagt der Geschäftsmann.

Ausländische Konkurrenz

Bei aller Freude am Erreichten fragt sich Peter Fehmel manchmal, ob es der Kundschaft wirklich wichtig ist, dass das Gemüse aus der Region stammt. «Zu welchem Preis wird der Handel uns treu bleiben? Die hohen Standards und Löhne in Deutschland machen es für uns fast unmöglich, mit ausländischer Ware zu konkurrieren», meint der 65-Jährige nachdenklich.

Trotzdem setzt er neben der Regionalität auch auf Bio: Vor zehn Jahren kaufte er in zehn Kilometern Entfernung einen 25-Hektaren-Betrieb, auf dem er Kräuter, Rhabarbern, Bundzwiebeln und Himbeeren in Bio-Qualiät anbaut.

«Mit Biokräutern sind wir der Konkurrenz voraus», freut sich Peter Fehmel darüber, dass er schon früh einen guten Riecher für die Marktnachfrage hatte. Allerdings seien die Herausforderungen nicht ohne, sagt der Betriebsleiter. «Pilzkrankheiten machen uns derzeit bei den Bundzwiebeln zu schaffen. Dagegen können wir im Biobereich nur Mittel auf Seifenbasis einsetzen.»

Kein Gedanke ans Aufhören

Da kaum Pflanzenschutzmittel verwendet werden dürfen, müsse viel gehäckelt werden. «Wir machen den Reihenabstand grösser, damit das Häckeln mit der Maschine möglich wird – auch wenn dadurch der Ertrag geringer wird.» Zudem zieht Peter Fehmel die Zwiebeln in Erdpresstöpfen im Gewächshaus vor. So haben sie einen Wachstumsvorsprung vor dem Unkraut.

Wie sich der Betrieb Fehmel weiterentwickelt, wird sich zeigen. Peter Fehmel denkt – auch wegen einiger gesundheitlicher Einschränkungen – gelegentlich ans Aufhören, sein Sohn Jochen ist vor einigen Jahren in die Geschäftsführung eingestiegen. Wenn Heike Fehmel nach dem «Aufhören» gefragt wird, schüttelt sie den Kopf und schmunzelt: «Ich habe grosse Freude an der Arbeit und Lust, noch lange weiterzumachen.»

Quelle: lid.ch