Der erste kultivierte Burger wird zehn Jahre alt

Wo stehen wir heute beim Thema kultiviertes Fleisch?

  • Kultiviertes Fleisch ist im Kern eine europäische Erfindung — in Europa wurden die Grundlagen entwickelt und der erste kultivierte Burger 2013 der Weltöffentlichkeit vorgestellt.
  • Seit 2013 ist ein lebendiges Ökosystem im Bereich kultiviertes Fleisch entstanden, das heute weltweit mehr als 150 Startups sowie etablierte Lebensmittelhersteller umfasst.
  • Weltweit beginnen Regierungen damit, in den Sektor zu investieren — eine neue Studie des Fraunhofer ISI zeigt jedoch, dass Deutschland hier großen Aufholbedarf hat.

In diesen Tagen jährt sich die Vorstellung von kultiviertem Fleisch zum zehnten Mal: Am 5. August 2013 präsentierte der niederländische Wissenschaftler Dr. Mark Post auf einer Veranstaltung in London der Weltöffentlichkeit den ersten kultivierten Rindfleisch-Burger. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch kein einziges Startup, das in diesem Bereich tätig war, geschweige denn etablierte Lebensmittelunternehmen.

Insgesamt wird seit fast genau 100 Jahren an der Idee gearbeitet, Fleisch direkt aus tierischen Zellen zu kultivieren. Die meisten Meilensteine dieser Entwicklung wurden in Europa erreicht, beginnend mit der Herstellung der ersten Zelllinie durch den französischen Biologen Alexis Carrel im Jahr 1912.

Die historische Vorstellung des ersten Burgers im Jahr 2013 hat weltweit Unternehmer und Forschende inspiriert, sich in diesem neu entstehenden Bereich zu engagieren. So hat der Bereich in den vergangenen Jahren deutlich Fahrt aufgenommen:

  • Während es im Jahr 2013 noch kein einziges Startup gab, das in diesem Bereich aktiv war, arbeiten heute weltweit mindestens 156 Unternehmen an der Kultivierung von Fleisch, rund 50 davon in Europa. Hinzu kommen zahlreiche Unternehmen aus der etablierten Lebensmittelwirtschaft und aus der Industrie, die in die Branche investieren oder als Zulieferer Vorleistungen erbringen.
  • Bis Ende 2022 hat der Sektor private Investitionen in Höhe von 2,8 Milliarden US-Dollar angezogen. In Europa haben sich die Wagniskapitalinvestitionen zuletzt gegenüber dem Vorjahr fast verdreifacht auf 120 Millionen Euro.
  • Erste europäische Regierungen beginnen damit, Forschung und Entwicklung im Bereich kultiviertes Fleisch zu fördern, darunter die Niederlande mit einer Rekordinvestition von 60 Millionen Euro und Großbritannien, das mit 12 Millionen Pfund ein Forschungszentrum zu kultiviertem Fleisch aufbauen will.
  • Seit Juni 2023 können die Menschen in den USA kultiviertes Fleisch essen, nachdem es die dortigen Behörden für den Verzehr zugelassen haben. Damit sind die USA nach Singapur das zweite Land, wo die Menschen Zugang zu kultiviertem Fleisch haben. Ende Juli 2023 folgte der Antrag auf die Zulassun von kultiviertem Fleisch in Europa in der Schweiz.
  • Technisch hat die Branche für kultiviertes Fleisch in den letzten zehn Jahren enorme Fortschritte gemacht. Die Herstellung des 2013 vorgestellten Burger-Pattys hat zwei Jahre gedauert und die Herstellungskosten lagen bei 250.000 Euro. Heute ist ein kultivierter Hähnchenspieß in Singapur für rund 14 US-Dollar erhältlich, und das niederländische Startup Meatable gibt an, dass es eine kultivierte Wurst in weniger als acht Tagen herstellen kann.

Eine Studie zum Ökologischen Fußabdruck von kultiviertem Fleisch, die auf empirischen Daten beruht und den Peer-Review-Prozess durchlaufen hat, kommt zu dem Ergebnis dass sich mit kultiviertem Fleisch bis zu 92 % der Treibhausgasemissionen und bis zu 90 % des Flächenbedarfs einsparen lässt, wenn dabei Erneuerbare Energien zum Einsatz kommen.

Gemessen an diesem Potenzial für den Klima- und Umweltschutz und daran, was andere Länder in den Bereich investieren, fällt Deutschland deutlich zurück. Dies zeigt eine neue Studie des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung ISI. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere im Bereich kultiviertes Fleisch Deutschland vergleichsweise wenig investiert und nur in einzelne Projekte, die keiner kohärenten Strategie folgen. Die Autor:innen der Studie empfehlen der deutschen Politik, einen Strategieprozess aufzusetzen, um die Forschungsförderung auszubauen und an einem klaren strategischen Ziel auszurichten.

Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager beim Good Food Institute Europe:

„Kultiviertes Fleisch ist im Kern eine europäische Erfindung. Vor rund 100 Jahren wurden die Grundpfeiler dieser neuen Art der Fleischherstellung in Europa entwickelt, und vor genau zehn Jahren wurde der erste kultivierte Burger hier der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Seit 2013 sehen wir enorme Fortschritte in diesem Bereich und in zwei Ländern der Welt können die Menschen heute schon kultiviertes Fleisch essen. Damit dieses nachhaltig erzeugte Fleisch in Deutschland und Europa für alle verfügbar wird, braucht es noch viel weiteres Engagement — insbesondere auf Seite der Politik, die in diese ressourcenschonende Form der Fleischherstellung investieren sollte, wie sie es zuvor bei Erneuerbaren Energien und bei der Elektromobilität getan hat.”

Spitzenkoch Richard McGeown, der 2013 in London den ersten kultivierten Burger zubereitet hat:

„Es ist unglaublich, dass sich kultiviertes Fleisch innerhalb eines Jahrzehnts von einem winzigen Prototyp zu einem globalen Wirtschaftsbereich entwickelt hat. Heute haben bereits Menschen in zwei Ländern Zugang zu kultiviertem Fleisch und renommierte Köche wie José Andrés und Dominique Crenn unterstützen das. Doch wir kratzen erst an der Oberfläche dessen, was wir mit kultiviertem Fleisch machen können, und ich bin sehr gespannt auf die weiteren Fortschritte im nächsten Jahrzehnt. Ich glaube, dass ich es den Menschen in Cornwall servieren werde — die es dann nicht essen werden, weil es eine Neuheit ist, sondern weil es großartig schmeckt.“

Quelle: Good Food Institute Europe