Cheese 2023: Ein weiterer Schritt zum Schutz der Biodiversität in der Milchwirtschaft weltweit

Vier neue Produkte werden auf dem großen Slow-Food-Event vorgestellt.

Cheese ist seit jeher die perfekte Gelegenheit, um neue Slow Food Presidi zu präsentieren. Presidi sind Erzeugergemeinschaften, die den Erhalt der biologischen Vielfalt der Lebensmittel, die Weitergabe traditioneller Produktions- und Handwerkstechniken, den Schutz der Umwelt und der Landschaften, der Orte, der lokalen Wirtschaft und der Kultur fördern.

Slow Food setzt sich seit Jahren dafür ein, die Öffentlichkeit für den Wert von Rohmilch zu sensibilisieren, also für Milch, die nach dem Melken weder pasteurisiert noch wärmebehandelt wird. Milch, die Nährstoffe, Vitamine und Milchsäurebakterien bewahrt und die Aromen und Düfte der Kräuter und Blumen des Weidegebiets der Tiere auf den Käse überträgt. „Das Bewusstsein für natürliche Rohmilchkäse zu schärfen und diese zu fördern, bedeutet für Slow Food, die Arbeit der Hirten, Käser und Affineure zu unterstützen und gleichzeitig gegen die Standardisierung der Produktionsprozesse und die Homogenisierung der Aromen vorzugehen, die die Milchindustrie durch die Verwendung von pasteurisierter Milch und industriellen Fermenten vorantreibt”, erklärt Francesco Sottile, Mitglied des Vorstands von Slow Food. „Die Vielfalt der Käsesorten, deren Grundlage die gekonnte Verarbeitung durch den Menschen ist, trägt entscheidend dazu bei, das Gleichgewicht des Ökosystems zu stärken, denn sie ist ein Instrument zur Aufwertung der Produktionskette, in der jedes Element eine wesentliche Rolle spielt. Das Gleichgewicht und der Respekt vor der Umwelt sind daher unerlässlich, damit die Erzeuger bei ihrer täglichen Arbeit und ihren täglichen Herausforderungen, vom Klimawandel bis hin zur Vermarktung der Produkte, Unterstützung erfahren.”

Weltweit gibt es über 100 Slow Food Presidi für Milchprodukte. Damit sind sie eine der am stärksten vertretenen Kategorien in diesem Projekt. Die seltenen und großartigen Kreationen sind Ausdruck der Weiden, der Tierrassen, der Milch und des handwerklichen Könnens ihrer Erzeuger*innen. In diesem Jahr begrüßen wir vier neue Slow Food Presidi.

Bleu de Queyras – Frankreich

Der Ursprung des Bleu du Queyras liegt in den abgelegenen Bergbauernhöfen im Norden des heutigen Departements Hautes-Alpes in Südfrankreich an der Grenze zu den italienischen Alpen. Ursprünglich wurde der Käse nur in der Gegend des Queyras-Massivs, von dem er seinen Namen hat, hergestellt und verzehrt. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird der Käse in zahlreichen Käsereien der Region hergestellt und erreicht sogar die weit entfernten Märkte Nordafrikas.

Der Bleu du Queyras wird aus der Milch von Kühen der Rassen Tarines, Abondance und Montbéliard hergestellt, die auf den Bergweiden der östlichen Hautes-Alpes, insbesondere in den Gebirgsmassiven und Tälern des Briançonnais, Embrunais, Champsaur und Valgaudemar, gehalten werden. Die Kühe werden ausschließlich mit frischem Gras, Heu von Wiesen und Kräutern gefüttert, ganz ohne Zugabe von Silage. Die Kühe werden morgens und abends gemolken und die Ausbeute beider Melkvorgänge wird für die Käseherstellung verwendet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging die Produktion des Bleu du Queyras drastisch zurück, was auch auf die Entwicklung der Molkereiindustrie zurückzuführen war, die einen Großteil der in diesem Gebiet erzeugten Milch aufkaufte, so dass für die handwerkliche Käseherstellung fast nichts mehr übrig blieb. Das Presidio  des Bleu du Queyras wurde mit dem Ziel gegründet, die handwerklichen Erzeuger beim Erhalt dieses Milchprodukts zu unterstützen und dazu beizutragen, dass die bäuerliche Erzeugung des Bleu du Queyras wieder zu ihrer früheren Blüte zurückfindet.

Tomme de la Brigue – Frankreich

Der Tomme de la Brigue ist ein Weich- oder Halbhartkäse, der traditionell mit dem Brigasque-Schaf in Verbindung gebracht wird. Diese Schafrasse verdankt ihren Namen dem Dorf La Brigue im Roya-Tal im Département Alpes-Maritimes. Diese geografische Region an der Grenze Frankreichs zu Italien zeichnet sich durch atemberaubende Schönheit der Natur, saftig grüne Täler und imposante Berge aus, die ein ideales Umfeld für die Käseherstellung bieten. Bis 1960 war das Brigasque-Schaf in Frankreich und Italien weit verbreitet, ab dann ging die Zahl immer weiter zurück. Heute ist es von der Europäischen Union als vom Aussterben bedrohte Rasse anerkannt, obwohl sich seit 2010 wieder eine stärkere Nachfrage verzeichnet, um die biologische Vielfalt der Region zu erhalten.

Das Brigasque-Schaf wird in extensiver Weidehaltung gehalten, besonders auf Bergweiden und Almen. Die Herstellung des Tomme de la Brigue ist stark mit der lokalen Gemeinschaft verwurzelt und viele Erzeuger wenden Methoden und Rezepte an, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Das Presidio möchte die Erzeuger*innen und Hirten unterstützen, die eine entscheidende Rolle für den Schutz und Erhalt der natürlichen Umwelt spielen.

„Diese beiden Presidi stehen für die Werte der Tradition, der Zusammenarbeit und der Liebe zu unserem Land. Der Bleu mit seiner jahrhundertealten Geschichte und der Wiederentdeckung des ursprünglichen Geschmacks und der Tomme mit dem Wunsch, über die Grenzen hinweg auch die Erzeuger des italienischen Pendants zu erreichen. Die Cheese bietet traditionsgemäß eine ideale Gelegenheit, sich zu treffen und gemeinsam in die Zukunft zu blicken”, kommentiert Nicolas Floret, Präsident des Naturkäseverbands Fromages Naturels de France.

Cacio di Genazzano – Italien

Ein in der Umgebung von Rom hergestellter Käse mit jahrhundertealter Geschichte, der bereits im 17. Jahrhundert Erwähnung fand, als er auch als Tauschmittel verwendet wurde. Vor allem aber war der „Cacio di Genazzano“ lange Zeit eine wichtige Nahrungsquelle für Bauernfamilien, die seine Herstellungsweise von Generation zu Generation überlieferten. Der Käse wurde fast ausschließlich auf familiärer Ebene verzehrt, was im Laufe der Zeit zu einem drastischen Rückgang des kommerziellen Angebots führte, bis er schließlich fast ganz verschwunden war.

Die Besonderheit dieses Käses aus Genazzano liegt in der Art und Weise, wie die Umwelt, das Klima und die natürlichen Weiden in der Milch zur Entfaltung kommen. Ein Reichtum, den die Erzeuger bewahren möchten: „Im Laufe des letzten Jahres wurden die Weiden wieder in Wiesen verwandelt, die reich an natürlichen Essenzen sind, was wertvoll für die biologische Vielfalt des Bodens und wichtig für die Ernährung der Tiere ist“, erklärt Loris Pergolini, der SlowFood-Vertreter des Presidios.

Fodom – Italien

Ein typischer Käse aus der norditalienischen Gemeinde Livinallongo del Col di Lana, dessen Name aus dem Ladinischen stammt und auch einen Ortsteil der Gemeinde bezeichnet. Der Käse wird aus Rohmilch hergestellt, die aus drei Melkvorgängen – zwei am Morgen und einer am Abend – stammt und teils aus Vollmilch, teils aus natürlich entrahmter Milch gewonnen wird. Es handelt sich um einen Käse aus Milch von Tieren, die mit Gras und Heu von den steilen Hängen der Belluneser Dolomiten gefüttert werden. Die Erzeuger haben tagtäglich mit den Auswirkungen des Klimawandels zu kämpfen, der die Futterversorgung durch große Trockenheit und starke Regenfälle erschwert, sowie mit der Tatsache, dass immer weniger Landwirte diesen Beruf ausüben wollen.