EU-Agrarministerrat diskutiert einen Vorstoß zu kultiviertem Fleisch, der auf falschen und überholten Informationen basiert

Der EU-Ministerrat diskutierte eine unverbindliche Initiative zur Regulierung von kultiviertem Fleisch, die in großen Teilen auf falschen und überholten Informationen beruht.

Dabei gibt es mit der Novel-Food-Verordnung bereits einen geltenden Rechtsrahmen, der Gesundheit und Verbraucherschutz sicherstellt.

Der EU-Ministerrat Landwirtschaft und Fischerei hat am 23. Januar eine gemeinsame Initiative der Landwirtschaftsminister von Österreich, Italien und Frankreich zum Thema kultiviertes Fleisch diskutiert. Das Papier fordert eine grundlegende Überarbeitung des rechtlichen Rahmens für die Zulassung von kultiviertem Fleisch. Dabei fußt es auf falschen Annahmen zur Nachhaltigkeit, zum Tierschutz und zur Marktstruktur von kultiviertem Fleisch und lässt außer Acht, dass es mit der Novel Food Regulierung bereits einen Rechtsrahmen gibt, der die gesundheitliche Sicherheit und den Verbraucherschutz sicherstellt.

Der Vermerk, der zu keinen direkten Gesetzesänderungen führen wird, wurde vom österreichischen Landwirtschaftsminister vorgelegt, obwohl das dortige Gesundheitsministerium des Landes – zuständig für Lebensmittelsicherheit – laut einem Medienbericht erklärt hat, dass dieser nicht die Position der österreichischen Regierung widerspiegelt.

In der Ratssitzung haben einige Länder den Vorstoß des österreichischen Landwirtschaftsministers unterstützt. Andere Länder haben sich der Position nicht angeschlossen und betont, dass die Novel-Food-Verordnung das richtige Instrument sei, um Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz sicherzustellen:

  • Der niederländische Delegierte sagte: „Wir verstehen natürlich die Sorgen um die öffentliche Gesundheit und die Zukunft der Landwirte, aber gleichzeitig geht es auch darum, wie wir die weltweite Ernährungssicherheit gewährleisten können. Die Weltbevölkerung wächst bekanntlich schnell und damit auch die Nachfrage nach tierischen Proteinen. Daher glauben wir, dass es wichtig ist, Innovationen zu unterstützen, die Produktionsmethoden für Proteine schaffen, die die konventionelle nachhaltige Produktion ergänzen und nicht ersetzen. Es ist also mehr Forschung nötig, um die Sicherheit und den geringeren Energieverbrauch zu gewährleisten. Deshalb investieren wir in den Niederlanden in diese Forschung, und ich würde dafür plädieren, dass wir auch die Chancen dieser Entwicklung sehen und nicht nur die Gefahren.”
  • Der dänische Delegierte sagte: „Wir haben bereits eine EU-Verordnung über neuartige Lebensmittel in Kraft. Diese gibt einen klaren Rechtsrahmen vor, der sich auf eine solide wissenschaftliche Grundlage stützt. Dänemark sieht keinen Grund, die Entwicklung und Vermarktung zellbasierter Produkte zu behindern, solange diese Produkte sicher sind und die gesetzlichen Anforderungen erfüllen und solange sie so gekennzeichnet sind, dass die Verbraucher nicht irregeführt werden. Wenn diese Anforderungen erfüllt sind, muss es den Verbrauchern überlassen bleiben, ob sie diese Produkte kaufen wollen.”
  • Die deutsche Delegierte positionierte sich neutral: „Wir sollten die Entwicklung von Fleisch aus kultivierten tierischen Zellen daher im Blick behalten und die möglichen Chancen und Risiken für den Umwelt- und Klimaschutz als auch sozioökonomische Folgen wissenschaftlich fundiert abschätzen. Dabei gilt: Lebensmittel dürfen in der EU nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie den lebensmittelrechtlichen Vorschriften entsprechen und sicher sind. Zudem wird die Nachfrage von Verbraucherinnen und Verbrauchern zeigen, inwieweit die Art der Herstellung akzeptiert wird und ob sich zellkultiviertes Fleisch zu einer Alternative für das tierische Original entwickeln wird. Für eine informierte Entscheidung ist eine klare und unmissverständliche Kennzeichnung solcher Lebensmittel unverzichtbar.”

Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, wies in ihrer Einschätzung der Initiative darauf hin, dass die bestehenden EU-Verordnungen über neuartige Lebensmittel bereits dafür sorgen, dass die menschliche Gesundheit und die Interessen der Verbraucher im EU-Binnenmarkt gut geschützt sind.

Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager beim Good Food Institute Europe: „Die im Ministerrat diskutierte Erklärung fußt auf falschen und überholten Informationen über kultiviertes Fleisch und untergräbt das Vertrauen in die Novel-Food-Regulierung. Der geltende Regulierungsrahmen ist der internationale Goldstandard in Sachen Lebensmittelsicherheit. Jeder Versuch, diesen klar definierten Prozess jetzt mit zusätzlichen Regelungen zu überfrachten, würde zu Doppelungen führen und den Rechtsrahmen weniger effizient und transparent für die Verbraucher machen. Vorstöße wie dieser hindern die EU daran, eine weltweit führende Rolle im Bereich nachhaltiger Lebensmittelinnovationen zu übernehmen.”

Das Good Food Institute Europe hat in einer Einschätzung des diskutierten Papiers problematische Punkte der Initiative herausgearbeitet, unter anderem:

  • Die Annahmen zum Thema Klimabilanz sind irreführend. Das Papier bezieht sich auf eine nicht peer-reviewed Studie der UC Davis, in der behauptet wird, dass kultiviertes Fleisch nicht besser für die Umwelt sei als Rindfleisch. Diese Studie basiert auf falschen Annahmen darüber, wie kultiviertes Fleisch produziert wird, und ihre Ergebnisse weichen erheblich von der vorhandenen Literatur ab. Laut einem Report der Changing Markets Foundation wird diese Studie als Teil einer Desinformationskampagne verwendet. Eine Studie, die tatsächlich peer-reviewed ist und auf empirischen Daten beruht, kommt zu dem Schluss, dass bei der Herstellung von kultiviertem Fleisch mit Erneuerbaren Energien bis zu 92% weniger Emissionen entstehen könnten als bei Rindfleisch aus der Tierhaltung und dass zudem bis zu 90% weniger Land beansprucht werden könnte.
  • Die Annahmen zum Thema Tierwohl sind unzutreffend. Es wird behauptet, dass kultiviertes Fleisch keine höheren Tierschutzstandards bietet als Fleisch aus Tierhaltung. Dabei wird auf ethische Fragen verwiesen, die durch Fetales Kälberserum (FBS) aufgeworfen werden – ein Nebenprodukt der Rinderschlachtung, das in der Vergangenheit zur Zellkultivierung verwendet wurde. FBS kann jedoch nicht für die Herstellung von kultiviertem Fleisch im großen Maßstab verwendet werden, da es teuer ist, die Chargen nicht einheitlich sind und das weltweite Angebot begrenzt ist. Viele der führenden Unternehmen, die kultiviertes Fleisch herstellen, haben FBS bereits erfolgreich aus dem Herstellungsprozess entfernt.
  • Die Aussagen zum Zulassungsprozess bieten keinen Mehrwert für die Lebensmittelsicherheit, sondern wollen nur neue Hürden für die Zulassung von kultiviertem Fleisch aufbauen. Die Verordnung hat in zahlreichen Zulassungsverfahren gezeigt, dass sie geeignet ist, um die weltweit höchsten Standards für Lebensmittelsicherheit bei neuartigen Lebensmitteln sicherzustellen. In der Verordnung selbst ist explizit angelegt, dass auch die Zulassung von zellbasierten Lebensmitteln durch diesen Rechtsrahmen reguliert werden soll. Dies steht im Einklang mit dem Ansatz anderer Regulierungsbehörden, wie etwa Brasilien, Kanada und Singapur.

Ivo Rzegotta weiter: „Der beste Weg, um offene Forschungsfragen im Bereich kultiviertes Fleisch zu adressieren, sind nicht neue regulatorische Hürden, sondern öffentliche Investitionen in die Forschung. Damit ließe sich sicherstellen, dass kultiviertes Fleisch nachhaltig produziert wird und dass dezentrale Formen der Produktion gefördert werden, bei denen neue Chancen für Landwirte und andere etablierte Akteure entstehen.”

Hier setzt Deutschland bereits Akzente, zum Beispiel mit der Förderung von gentechnik- und antibiotikafreien Verfahren im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten CellZeroMeat-Projekt und im vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderten Verbundprojekt von Bluu Seafood und zwei Hochschulen. Auch das EU-Forschungsprogramm Horizon Europe und Länder wie Spanien und die Niederlande haben bereits in die Forschung und Entwicklung von kultiviertem Fleisch investiert.

Quelle: gfi Europe