Experten der Universität Hohenheim veröffentlichen wissenschaftliche Artikel zu Nährstoffen und Anbaufragen in alten Weizenarten.
Back to the roots: Die alten und lange vergessenen Weizenarten Einkorn, Emmer und Dinkel bieten nicht nur geschmacklich ein besonderes Erlebnis. Auch gesundheitlich sind sie wertvoll, produzieren beispielsweise Lutein, einen Schutzstoff für die Augen. Wissenschaftler der Universität Hohenheim forschen an Möglichkeiten den Ertrag der alten Weizensorten zu erhöhen – ohne Gentechnik. Die gesundheitlichen Vorteile und Möglichkeiten für Landwirt & Co. heben die Wissenschaftler in zwei Fachartikeln hervor (im Journal of Functional Foods und in Crop Science). Weiter wurde eine Webstory der Amercian Society of Agronomy und der Crop Science Society zu den Erkenntnissen veröffentlicht.
Gut 46 kg Brot werden in jedem deutschen Haushalt im Durchschnitt jährlich verzehrt, lautet eine Auswertung des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks e. V. in Berlin. An der Spitze der Mehlsorten: Brotweizen und Roggen.
„Dabei gibt es gerade in der Weizenfamilie noch alte Arten mit einigen gesundheitsförderlichen Inhaltstoffen, die bisher missachtet werden“, erklärt Prof. Dr. Reinhold Carle, Lebensmitteltechnologe der Universität Hohenheim. Gemeinsam mit Jochen Ziegler und Dr. Friedrich Longin hat er Vorteile, Probleme und Möglichkeiten von alten Weizenarten untersucht und sie jetzt in zwei wissenschaftlichen Artikeln im Journal of Functional Foods sowie Crop Science veröffentlicht.
Mehr Lutein für bessere Augen
„Natürlich enthält auch beispielsweise der Brotweizen Inhaltsstoffe, die für den menschlichen Körper wichtig sind“. Vielversprechender sähe es jedoch bei den alten Weizenarten vor allem beim Einkorn aus, so Prof. Dr. Carle: Er verzeichnet eine bis zu zehnmal höhere Konzentration an cholesterinsenkenden Sterylferulaten, Vitamin E und dem Augenschutzstoff Lutein.
„Lutein wird für den gelben Fleck im Auge benötigt, den Bereich des scharfen Sehens“, sagt Jochen Ziegler vom Fachgebiet Technologie und Analytik pflanzlicher Lebensmittel der Universität Hohenheim.
Gesünder Leben – auch ohne Grünkohl & Co.
Regelmäßig zu sich genommen, könne es beispielsweise die altersbedingte Makuladegeneration (AMD), also den Hauptgrund des Erblindens älterer Menschen, verhindern. „Das Problem ist, dass Lutein vom Körper nicht selbst produziert werden kann“, so Ziegler. „Darum müssen wir es über unsere Nahrung aufnehmen.“
Vor allem Lebensmittel wie Grünkohl oder Spinat enthalten eine hohe Menge an Lutein. Das Problem erklärt Prof. Dr. Carle: „Wir essen nicht jeden Tag einen Topf Spinat um ausreichend Lutein aufzunehmen. Brot hingegen nehmen wir regelmäßig zu uns. Die alte Weizenart Einkorn bietet nun eine Möglichkeit, dass sich auch die Menschen gesünder ernähren, die nicht regelmäßig grünes, luteinreiches Gemüse zu sich nehmen.“
Natürlich gesund und resistent
Besonders attraktiv mache Einkorn das natürlich hohe Vorkommen von Lutein, sagt Ziegler. „Im Unterschied zum Golden Rice, bei dem Carotinoide durch Gentechnik in das Grundnahrungsmittel Reis eingebracht wurden, muss bei dieser alten Weizenart nichts verändert werden. Sie enthält von Natur aus viel Lutein.“
Warum die alten Weizenarten nicht schon längst die neuen verdrängt haben, liege nicht an ihren Inhaltsstoffen – sondern vor allem an den Herausforderungen im Anbau und an ihrem geringen Ertrag.
Umweltschutz und Biodiversität
Zwar habe vor allem Einkorn eine hohe Resistenz gegen Pilze und Krankheiten. „Die alten Weizensorten sind eine attraktive, einfach anzubauende Kulturart“, so die Einschätzung von Dr. Friedrich Longin, Experte für Einkorn, Emmer und Dinkel an der Universität Hohenheim.
„Man muss sie kaum spritzen und sie wachsen quasi von selbst. Das belastet natürlich auch die Umwelt weniger. Außerdem fördert der Anbau der alten Arten die Biodiversität, ein wichtiges Ziel für zukunftsfähige Landwirtschaft.“
Der Ertrag ist zu gering
In ihrem Wachstum liege aber auch das Problem, so Dr. Longin: „Die Halme von Einkorn und Emmer werden sehr lang. Man muss darauf achten, dass sie nicht umkippen und die Ernte dadurch verloren geht.“
Auch der Ertrag sei deutlich geringer als beim Brotweizen, sagt der Experte der Universität Hohenheim: „Emmer erreicht lediglich 50 % des Ertrages von Brotweizen, Einkorn sogar nur 25 %. Dadurch sind sie natürlich auch viel teurer. Das bekommt der Verbraucher zu spüren.“
Selbst durch verbesserte Züchtungen könne man den Ertrag nur bedingt steigern. „ Der Brotweizen wurde die letzten 100 Jahre intensiv züchterisch verbessert, das kann man beim Einkorn und Emmer so schnell nicht mehr aufholen.“
Ein weiteres Problem sei ein zusätzlicher Arbeitsschritt. „Alte Weizenarten besitzen im Gegensatz zu modernen noch ihre Hülle um das Korn, sie sind also bespelzt. Um die Körner von ihrer Hülle zu befreien entsteht in der Müllerei ein erheblicher Mehraufwand – auch das macht die alten Arten teurer.“ Umgekehrt stellt diese feste Umhüllung einen natürlichen Schutz gegen Schaderreger und Schadstoffe dar.
Experte fordert Umdenken und regionale Vermarktung
Trotz allem sieht der Experte der Universität Hohenheim ein hohes Marktpotenzial in den alten Getreidearten. „Der Trend unter den Verbrauchern geht zurück zum ‚Ursprünglichen‘. Auch auf Regionalität legen Kunden immer größeren Wert.“
Auf dem regionalen Markt sieht Dr. Longin die alten Weizenarten auch in Zukunft. „Wenn feste regionale Produktionsketten zwischen Landwirten, Müllern und Bäckern entstehen, fördert das nicht nur das regionale Handwerk. Die kurzen Produktionsstrecken sparen auch Geld.“
Sein Tipp um die alten Arten attraktiver zu machen: „Landwirte, Müller und Bäcker müssen zusammenarbeiten. Der Landwirt muss vor dem Anbau abklären, wer ihm seine Ernte abnimmt. Diese Sicherheit kann der Müller ihm aber nur geben, wenn Bäcker bereit sind, etwas Neues, dafür aber sehr Gesundes auszuprobieren. Denn auch das ist ein Trend unter den Verbrauchern: gesünder leben. Mit den alten Weizenarten kann das gelingen.“
Die ganzen Artikel gibt es im Journal of Functional Foods unter doi:10.1016/j.jff.2015.11.022 sowie in Crop Science unter doi: 10.2135/cropsci2015.04.0242. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler wurden außerdem in einer Webstory der Amercian Society of Agronomy und der Crop Science Society zusammengebracht.
Kontakt:
Dr. Friedrich Longin
Universität Hohenheim, Landessaatzuchtanstalt – Arbeitsgebiet Weizen
T 0711 459 23846
friedrich.longin@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Reinhold Carle
Universität Hohenheim, Fg. Technologie und Analytik funktioneller Lebensmittel
T 0711 459 22314
carle@uni-hohenheim.de
Dipl.-LM-Ing. Jochen Ziegler
Universität Hohenheim, Fg. Technologie und Analytik funktioneller Lebensmittel
T 0711 459 24109
jochen.ziegler@uni-hohenheim.de
Text: C. Schmid / Klebs
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Quelle: Florian Klebs Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Hohenheim