Kommentar von Detlef Brendel
Ein tragischer Tag für die einen, ein Schritt in die Realität für die anderen. Am 5. September 2018 veröffentlicht die WHO eine Studie, die mit eindrucksvollen Daten eine der zentralen Strategien von Foodwatch vernichtet. Der weltweite Mangel an Bewegung, den die WHO-Erhebungen dokumentieren, steht den gezielten Falsch-Behauptungen von Foodwatch diametral gegenüber.
Für die Foodwatch-Aktivisten ist der Zucker ein Schnelldreher im Sortiment der Kampagnen-Argumente. Durch Skandalisierung erzielte Medienaufmerksamkeit zur Spenden-Akquisition funktioniert mit zuckerhaltigen Produkten, die den Menschen schmecken, bestens. Kein Nahrungsmittel-Baustein scheint besser geeignet, die Ernährungs-Branche von den Landwirten über die Hersteller bis zum Handel als Gefährder der menschlichen Gesundheit anzugreifen.
Für zuckerhaltige Produkte werden von Strafsteuern über Regulierungen bis zu Werbeverboten staatliche Eingriffe gefordert. Der wohlschmeckende Nahrungsmittel-Baustein wird im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit für Übergewicht, Diabetes und viele andere Risiken verantwortlich gemacht. Hinweise auf den inaktiven Lebensstil in einer modernen Gesellschaft und speziell den zunehmenden Bewegungsmangel bei Kindern werden als korrupte Äußerungen von Industrie-Freunden niedergeknüppelt. Was bringen Lebensmittel-Ampeln, Strafsteuern und regulierte Rezepte, wenn die Menschen weiterhin ruhig sitzen bleiben? Eine für Foodwatch unzulässige Frage.
Die Lüge als Basis des Skandals
Für das florierende Geschäft mit der Angst setzt Foodwatch darauf, dass bei komplexen und sehr differenziert zu betrachtenden Themen die einfachen Behauptungen die erfolgreichsten sind, auch wenn sie nicht der Realität entsprechen. Darauf baut die Anti-Zucker-Strategie auf, bei der das Thema Bewegungsmangel natürlich kontraproduktiv ist. Also wird es geleugnet.
In dem Statement „Sieben Mythen zum Thema Zucker und Übergewicht“ behauptet Foodwatch allen Ernstes: „Die oft genannte These, dass sich Kinder und Jugendliche heute weniger bewegen als noch vor wenigen Jahrzehnten, lässt sich wissenschaftlich nicht belegen. Auch für Erwachsene gibt es hier keine eindeutigen Ergebnisse.“
Solche Aussagen sind verantwortungslos, weil sie dazu beitragen, den nachweislich lebensverkürzenden Bewegungsmangel zu verharmlosen. Aber wenn es um Umsatzoptimierung durch Skandalisierung geht, zählt nicht die Gesundheit der Menschen. Damit lässt sich kein Geld verdienen. Die Vielzahl von Studien zum Rückgang der Bewegung in einer zunehmend inaktiven Gesellschaft wird geleugnet.
Oliver Huizinga, Leiter Recherche und Kampagne bei Foodwatch, sagt bei einer Podiumsdiskussion des Tagesspiegels in Berlin am 22. Februar 2018 wissentlich die Unwahrheit. Vom Autor dieses Beitrages mit dem Vorwurf konfrontiert, dass Foodwatch aus strategischen Gründen das Thema der zunehmend mangelnden Bewegung in unserer Gesellschaft ignoriert, antwortet er, dass es keine Daten und Erkenntnisse gibt, die ein Defizit der Bewegung erkennen lassen.
Unterstellt man, dass alle Studie zu diesem Thema bei Foodwatch seit Jahren automatisch in den Hacker gehen, ist zumindest sicher, dass Huizinga zum Zeitpunkt dieser Behauptung mit der KiGGS-Studie des Robert Koch-Instituts gearbeitet hat, in der eindrucksvolle Zahlen das Defizit der Bewegung bei Kindern und Jugendlichen transparent machen. Aber vielleicht hat er auch hier die betreffenden Seiten der Studie, aus der er in einem anderen Zusammenhang zitiert, gezielt überblättert.
Bewegung statt Essverbote
Nun wird die sorgfältig gebastelte Strategie der verbissenen Leugner des Bewegungsmangels massiv erschüttert. Die aktuell publizierte WHO-Studie belegt, dass sich weltweit 25 Prozent der Erwachsenen zu wenig bewegen. In Deutschland liegt die Quote sogar über 40 Prozent.
Der Mangel an körperlicher Aktivität steigt mit dem Wohlstand eines Landes. Ursachen sind die intensive Nutzung von Computern und Technologien, die Nutzung von Autos und die sitzende Tätigkeit am Arbeitsplatz. Je reicher ein Land, desto weniger Bewegung. Und auch in den wirtschaftlich aufstrebenden Ländern zeigt die Studie, dass mit der Änderung der Lebensumstände die Bewegungsarmut dynamisch steigt.
Weder das Müsli noch das Tomatenketchup sind die Risiken einer gesunden Existenz. Regina Guthold von der Weltgesundheitsorganisation bringt es auf den Punkt: „Bewegung senkt das Risiko von Herzerkrankungen, Infarkt, Brust- und Darmkrebs, Diabetes und Bluthochdruck.“ Nach ihren Worten wirkt sich ein Mehr an Bewegung sogar positiv auf die mentale Gesundheit aus.
Eine solche Studie mit der realistischen Betrachtung des Lebensstils bedeutet für Foodwatch das Aus für ein auf der Lüge bauendes Konstrukt. Aber vielleicht bleibt den „Essensrettern“ noch die Behauptung, dass die WHO korrupt und von der weltweiten Ernährungs-Mafia gekauft worden ist.
Detlef Brendel ist als Wirtschaftspublizist tätig und leitet eine Presseagentur. Er ist Autor des Buches „Schluss mit Essverboten“, in dem er sich u.a. kritisch mit der Bevormundung der Verbraucher beschäftigt.