Medikamente und Nährstoffmangel

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Erzielen Maßnahmen wie eine Ernährungsumstellung nicht den gewünschten blutzuckersenkenden Effekt, wird ein Typ-2-Diabetes mit Medikamenten wie Metformin behandelt.  Studien legen die Vermutung nahe, dass der Blutzuckersenker bei manchen Menschen einen Vitamin-B12-Mangel auslösen kann. Unbehandelt kann ein Vitamin-B12-Mangel mögliche Folgeerkrankungen des Diabetes, wie Neuropathien, Demenz oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, verschlimmern.

Schätzungen gehen davon aus, dass bei etwa 7 bis 8 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen ein Typ-2-Diabetes vorliegt. Bleibt der gewünschte Erfolg einer Gewichtsreduktion, Ernährungsumstellung und Bewegungstherapie aus, so wird ein Antidiabetikum zur Blutzuckersenkung verschrieben. In diesem Fall greifen Mediziner zumeist zu Metformin, vor allem bei übergewichtigen Patienten. Der Arzneistoff hilft gleich auf zwei Wegen, den Blutzucker zu senken: Zum einen wird die Insulinempfindlichkeit im Gewebe erhöht. Zum anderen hemmt es die Zuckerneubildung in der Leber. Ein besonderer Vorteil von Metformin ist, dass es keine Unterzuckerung verursacht, im Gegensatz zu anderen eingesetzten Antidiabetika.

Metformin stört die Vitamin-B12-Aufnahme in den Körper

Das mit der Nahrung aufgenommene Vitamin B12 wird im Magen an das R-Protein Haptocorrin gebunden, wodurch das Vitamin vor dem vorherrschenden, sauren pH-Milieu geschützt wird. Die Haptocorrin-Vitamin-B12-Bindung wird anschließend im Dünndarm durch Pankreastrypsin gelöst, welches eine Bindung an den Peptidase-resistenten Intrinsischen Faktor (IF) ermöglicht. Der Intrinsische Faktor ist ein von den Zellen der Magenschleimhaut gebildetes Transportprotein. Im unteren Teil des Dünndarms, im Abschnitt des Ileums, wird der Vitamin-B12-IF-Komplex aufgenommen. Durch die Einnahme von Metformin wird die kalziumabhängige und rezeptorvermittelte Aufnahme des Vitamin-B12-IF-Komplexes im Ileum gehemmt.1

Bereits im Jahr 1969 veröffentlichten der Schweizer P. Berchtold und sein Team einen Artikel über intestinale Absorptionsstörungen infolge einer Metforminbehandlung. In dieser Veröffentlichung wurde bereits explizit auf eine Störung in der Vitamin-B12-Absorption hingewiesen.2 Daraufhin folgte im Jahr 1971 die Empfehlung von Tomkin und Kollegen, dass bei Patienten, die über einen längeren Zeitraum mit Metformin behandelt werden, jährliche Vitamin-B12-Kontrollen stattfinden sollten.3 Der negative Einfluss des Blutzuckersenkers auf den Vitamin-B12-Status ist demnach schon lange bekannt – gleichwohl beschäftigt das Thema weiterhin die Wissenschaft.

Aktuellere Studien zeigen darüber hinaus das Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel in Abhängigkeit von der Therapielänge mit Metformin. Ein Review von Chapman et. al. fasst dazu die Ergebnisse aus vier Interventionsstudien zusammen: Bereits eine viermonatige Metformineinnahme verursacht demnach eine Reduktion des Vitamin-B12-Spiegels um 57 pmol/ml. Bei einer Vielzahl der Patienten führt das bereits zu einem (subklinischen) Mangel, wenn man die europäische Annahme für einen ausreichenden Vitamin-B12-Status heranzieht.4 In den USA wurden im Jahr 2016 Daten publiziert, die die Auswirkungen der Metformineinnahme auf den Vitamin-B12-Status über einen Zeitraum von 13 Jahren zeigen. Demnach steigert ein Jahr Metformin-Therapie das Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel um 13 Prozent.5

Diese Befunde zeigen, dass regelmäßige Laborkontrollen bei Diabetespatienten unter Metformintherapie grundsätzlich stattfinden sollten. Die möglichen Symptome für einen Mangel sind sehr unterschiedlich. So wird in manchen Fällen die unzureichende Resorption durch ein Blutbild eher zufällig entdeckt, andere Patienten hingegen sind schon vor der Feststellung im Blutbild von neurologischen Störungen beeinträchtigt. Besonders häufig sind ältere Patienten von einem Vitamin-B12-Mangel betroffen, da bei ihnen neben der Medikamenteneinnahme auch physiologische Alterungsprozesse zu einer verminderten Vitamin-B12-Resorption führen. Bei Anzeichen für Demenz und/oder Depressionen ist es darum ratsam, immer auch den Vitamin-B12-Spiegel zu kontrollieren, um ein Mangel auszuschließen.

Ist eine Supplementation mit Vitamin B12 hilfreich?

Bislang gibt es nur sehr wenige Untersuchungen zur Supplementation von Vitamin B12 bei gleichzeitiger Metformineinnahme. Im Jahr 2012 wurden die Daten zur Wirkung von Vitamin-B12-Supplementen aus der großen US-amerikanischen Beobachtungsstudie NHANES (The National Health and Nutrition Examination Survey) veröffentlicht, in der 1.621 Diabetiker sowie 6.867 gesunde Personen beobachtet wurden. Bei Nicht-Diabetikern wurde die Einnahme von Multivitaminpräparaten mit einer durchschnittlichen Menge von 6 µg Vitamin B12 mit einem verminderten Auftreten von Vitamin-B12-Mangel assoziiert. Bei Diabetespatienten mit Metformineinnahme zeigte die Einnahme eines durchschnittlichen Multivitaminpräparates allerdings keinen Zusammenhang.6

Zu einem anderen Ergebnis kommen Kancherla und Kollegen. Auch hier wurde die Einnahme von Multivitaminpräparaten und das Auftreten von Vitamin-B12-Mangel bei Nicht-Diabetikern und Diabetikern mit und ohne Metformineinnahme bei Personen über 50 Jahren verglichen. Die Autoren der Studie kommen zu dem Ergebnis, dass die Einnahme von Multivitaminpräparaten bei Patienten mit Metformintherapie vor einer Unterversorgung oder einem Mangel an Vitamin B12 schützen kann.7

Uneinigkeit bei der genauen Definition eines Vitamin-B12-Mangels, das Fehlen eines Standards zur Messung des Vitamin-B12-Status und unterschiedliche Konzentrationen von Vitamin B12 in Multivitaminpräparaten lassen einen Vergleich von bisher vorliegenden Daten nur bedingt zu. Um vor einem möglichen Vitamin-B12-Mangel bei Diabetespatienten mit Metformineinnahme zu schützen, sind daher sind Interventionsstudien dringend notwendig, die eine genaue Dosis und Dauer einer nötigen Vitamin-B12-Supplementation untersuchen.

Die unspezifischen Symptome eines Vitamin-B12-Mangels, wie Blutbildveränderungen, neurologische Störungen oder psychiatrische Auffälligkeiten, erschweren die Diagnose. Empfohlen wird deshalb, bei Risikopersonen alle zwei bis drei Jahre den Vitamin-B12-Status zu bestimmen.

[1] Gröber U, Kisters K, Schmidt J. Neuroenhancement with vitamin B12-underestimated neurological significance. Nutrients. 2013;5(12):5031-45.

[2] P. Berchtold, P. Bolli, U. Arbenz, G. Keiser: Intestinale Absorptionsstörung infolge Metforminbehandlung (Zur Frage der Wirkungsweise der Biguanide), Diabetologia (1969) 5: 405. DOI; 10.1007/BF00427979

[3] G. H. Tomkin, D. R. Hadden, J. A. Weaver, and D. A. D. Montgomery, Vitamin-B12 Status of Patients on Long-term Metformin Therapy, Br Med J. 1971 Jun 19; 2(5763): 685–687. doi: 10.1136/bmj.2.5763.685

[4] Chapman LE, Darling AL, Brown JE: Association between metformin and vitamin B12 deficiency in patients with type 2 diabetes: A systematic review and meta-analysis. Diabetes Metab. 2016 Nov;42(5):316-327. doi: 10.1016/j.diabet.2016.03.008.

[5] Aroda VR, Edelstein SL, Goldberg RB et al. Long-term Metformin Use and Vitamin B12 Deficiency in the Diabetes Prevention Program Outcomes Study. J Clin Endocrinol Metab. 2016 Apr;101(4):1754-61. doi: 10.1210/jc.2015-3754.

[6] Lael Reinstatler, Yan Ping Qi, Rebecca S. Williamson, Joshua V. Garn, Godfrey P. Oakley, Jr., Association of Biochemical B12 Deficiency With Metformin Therapy and Vitamin B12 Supplements

The National Health and Nutrition Examination Survey, 1999–2006, Diabetes Care. 2012 Feb; 35(2): 327–333.

[7] Vijaya Kancherla, Joshua V. Garn, Neil A. Zakai et al. Multivitamin Use and Serum Vitamin B12 Concentrations in Older-Adult Metformin Users in REGARDS, 2003-2007, PLoS One. 2016; 11(8): e0160802.

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Quelle: GIVE