Sind Softdrinks wirklich so gefährlich schädlich, dass sie mit Sondersteuern und Werbeverboten belegt werden müssen?
Derzeit kann man schnell den Eindruck gewinnen, zuckergesüßte Softdrinks seien der Inbegriff des krank- und dickmachenden Lebensmittels überhaupt. Sind Cola, Limo & Co. wirklich so gefährlich schädlich, dass sie einem Werbebann unterworfen und mit Sondersteuern gebrandmarkt werden sollten? Ernährungswissenschaftler Uwe Knop klärt auf.
Softdrinks gelten als ungesund, weil sie so viel Energie liefern. Wieviel Kalorien trinken wir also so softig?
100 ml Cola haben etwa 40 Kcal. Zum Vergleich; Orangen- und Apfelsaft liefern saftige 45 Kcal, Traubensaft und Vollmilch sogar noch 50 % mehr (60 Kcal) – auch die als gesund gehypten veganen Milchalternativen wie Erbsen-, Reis- und Hafermilch liefern Cola-vergleiche Kalorien. Und, gut zu wissen: Der Deutschen liebstes Getränk ist Kaffee. Trinkt nun jemand seinen Cappuccino, Kaffee oder Espresso gerne moderat mit Zucker gesüßt, sagen wir mal 4 Tassen am Tag mit je einem bis zwei Teelöffel – dann sind das schon 60 bis 130 Kcal reine Zuckerkalorien, also beim „Doppellöffler“ fast so viel wie eine Dose Cola am Tag. Brauchen wir also auch eine „Zucker-im-Kaffee-Steuer“? Was Rechenaffine auch berücksichtigen müssen: In Relation zum Gesamtenergieverbrauch entspricht eine Dose Cola am Tag – etwa 140 Kcal – bei einer Durchschnittsfrau (2.000 Kcal Bedarf) etwa 7 %, bei einem Mann 5 %. Also mehr als 93 % der Energie, die wir zum Überleben benötigen, fehlen uns noch. Man muss also immer das Gesamtbild im Auge behalten, und das langfristig, über Jahrzehnte.
Aber wenn ich jetzt sehr viel davon trinke, dann ist das doch schädlich?
Zuviel, egal wovon, ist immer schädlich. Aber was konkret heißt zu viel sowohl im Allgemeinen als auch für das Individuum? Darauf hat die Wissenschaft keine Antwort, besonders nicht auf den persönlichen Konsum, denn dieser ist immer absolut individuell im mittel- bis langfristigen hoch komplexen Gesamtlebensstil zu sehen. Die Forschung weiß weder, welche „Obergrenze“ an Kohlenhydraten (dazu gehört Zucker) und Fetten noch an Proteinen (Eiweiß) gesundheitsschädlich ist. Hierzu fehlen die Daten, es fehlt die Kausalevidenz (wissenschaftliche Beweise) – genauso wie für alle kolportierten gefährlichen Effekte von Softdrinks.
Machen Softdrinks also weder dick noch krank?
Wenn man dauernd viel zu viel davon trinkt, aber sicher! Spaß (und Extremfälle) beiseite. Die derzeitigen Forderungen nach Sondersteuern und Werbeverboten für Softdrinks basieren ausschließlich auf ganz vagen Hypothesen und Vermutungen: Denn hauptsächlich liegen hier Korrelationen aus Beobachtungsstudien zugrunde – und die werden gerne als Kausalität fehlinterpretiert, auch von höchster „ministerialer Stelle“ (siehe dazu „Kennt Lauterbach den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität nicht?“). Das ist alles, belastbare valide Kausalevidenz hingegen sucht man als objektiver Betrachter der Sachlage vergeblich.
Aber es gibt auch gute Studien, die RCT (randomised clinical trials), was ist damit?
Ja, Studien der höchsten wissenschaftlichen Kategorie (RCT), die gibt es vereinzelt auch. Aber diese Paper haben immer zahlreiche Limitierungen wie zu kurze Dauer, wenige Teilnehmer, heterogene Studienbedingungen (also schwer vergleichbar untereinander) – und sie liefern unisono keine klinisch relevanten Endpunkte (wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs, Tod) sondern nur so sogenannte Surrogatparameter, das sind Ersatzwerte wie Blutmessungen. In toto lassen sich aus diesen Daten keine Schlüsse ziehen, die Sondersteuern und Werbeverbote wissenschaftlich rechtfertigen würden. Auf diese und weitere Limitierungen weisen übrigens auch die Studienautoren in ihren Publikationen immer hin – das wird von Politikern und deren „Gremien von Gnaden“ aber gerne kulant ignoriert.
Haben Sie ein Beispiel?
In einer großen aktuellen Übersichtsstudie (Metaanalyse, publiziert im renommiertesten Ernährungsfachjournal), die derzeit als „wissenschaftliches Flaggschiff“ und damit als Hauptargument gegen Softdrinks und für Steuern und Werbeverbote herangezogen wird, konstatieren die Autoren beispielsweise: „Eine Bewertung der Publikationsverzerrung für Studien mit Kindern wurde aufgrund der unzureichenden Anzahl von Studien (<10 Studienvergleiche) nicht durchgeführt.“ Oder: „Interessanterweise ergab die Subgruppenanalyse keinen Unterschied zwischen Aufklärungsbotschaften und direkten Interventionen, wie etwa dem Ersatz durch kalorienfreie Getränke (Daten nicht gezeigt).“ Auch sehr interessant: „Darüber hinaus fanden wir keine Unterschiede in der Gewichtsveränderung bei Erwachsenen und Kindern zwischen Personen, die zu Studienbeginn Normalgewicht hatten oder übergewichtig waren“ Und, der Klassiker: „Auch RCTs sind nicht ohne Limitierungen, da sie durch kurze Studiendauer und unvollständige Adhärenz (Studientreue der Teilnehmer, d.h. Probanden springen ab) begrenzt sind.“ Ergo: Klare Kausalevidenz sieht anders aus – oder anders: sie fehlt vollumfänglich. Das ergab im Übrigen auch ein aktuelles Gutachten („Besser als sinnlose Werbeverbote wäre kostenloses Schulessen für Kinder“)
Also: Dosen und Flaschen auf und Softdrinks hemmungslos genießen?
Wieviel Softdrinks man trinkt, das sollte jeder selbst entscheiden – und dabei an Paracelsus denken: „Die Dose macht das Gift.“ Oder war es „die Dosis“? Damit keine Missverständnisse entstehen: Ich bin keine aktiver Befürworter des Softdrinkkonsums – warum auch, das jeder sollte selbst entscheiden. Ich selbst trinke so gut wie nie Softdrinks, einfach, weil sie mir nicht schmecken. Frisch gepresste Fruchtsäfte hingegen, die viel mehr Zuckerkalorien liefern, genieße ich sehr gerne.
Abschließend die Frage für alle Softdrinkliebhaber: Sind Cola & Co. mit Süßstoffen die bessere, weil gesündere und „schlankere“ Wahl?
Nein, definitiv nicht. Hier gibt es keine Vorteile, ganz im Gegenteil (weitere Infos: „Experte hat schlechte Nachrichten für alle Süßstoff-Freunde“)
Uwe Knop (*72) ist evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler (Dipl.oec.troph./JLU Gießen), Publizist, Referent und Buchautor (u.a. Erfolgreich abnehmen und schlank bleiben, Springer 2022). Seit mehr als 14 Jahren bildet die objektiv-faktenbasierte Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Knop hat den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, worauf er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt – genussvolles Essen zur Lebenserhaltung – vertraut.