Same same but different: die neuen Regeln der DGE

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat ihre Ernährungsempfehlungen aktualisiert und legt nun mehr Wert auf pflanzliche Lebensmittel. Doch was sind die Gründe dafür und wie wirken sich diese Änderungen auf unsere Gesundheit aus? Uwe Knop, evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler, nimmt die neuen Regeln unter die Lupe und liefert aufschlussreiche Einblicke in die Welt der Ernährungsforschung.

Was sind die Hauptgründe für die DGE, eine stärkere Betonung auf pflanzliche Lebensmittel in der Ernährung zu legen?

Die neuen Empfehlungen lauten im Kern: Etwa drei Viertel pflanzliche Kost verzehren und nur noch ein Viertel Lebensmittel vom Tier. Die Hauptgründe sind einerseits „Gesundheit“: So soll das Risiko beispielsweise von Herzkreislauferkrankungen und Dickdarmkrebs sinken, weil Beobachtungsstudien dies zeigten. Aber das ist und bleibt reine Spekulation – weil Ernährungswissenschaften grundsätzlich keine Beweise (Ursache-Wirkungs-Beziehungen) liefern können. Die ausführliche Erläuterung, warum das so ist, lesen Sie hier „Kennt Lauterbach den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität nicht?“  Andererseits sollen durch dieses Essverhalten Landverbrauch, Umweltschäden und Treibhausgase reduziert werden. Ob es so kommt, müsste evaluiert werden – ansonsten bleibt auch das reine Spekulation.

Was ist der gravierende Unterschied zu den alten 10 DGE-Regeln zur „gesunden Ernährung“?

Kurz und knapp: Mehr Pflanze, weniger Tier. Und: Sowohl Hülsenfrüchte – Bohnen, Erbsen, Linsen – als auch Nüsse werden nicht mehr unter „5x Tag Obst und Gemüse“ subsummiert, sondern mit eigenständigen Verzehrempfehlungen aufgeführt.

Welche Beweise gibt es, dass die alten „10 Regeln der DGE“ die Gesundheit der Bürger tatsächlich gefördert haben?

Keine. Es gibt keinen einzigen wissenschaftlichen Beleg für die „gesundheitsfördernde“ Kraft der alten 10 Regeln. Das wurde nie untersucht – denn es ist gar nicht möglich. Ein schönes Beispiel dafür ist auch die „Wahrheit über die „5-am-Tag“-Regel“. Ergo werden auch die neuen „Gut essen und trinken“-Empfehlungen für immer nebulös in ihren Effekten bleiben – sowohl was die gewünschten als auch die unerwünschten Auswirkungen angeht.

Wenn es keinen Nutzennachweis gibt, ist dann „wenigstens“ ein Schaden sicher ausgeschlossen?

Niemand kann sicher sagen, ob diese Essregeln negative Effekte ausüben werden. Das klingt erstmal komisch – aber es könnte sein, dass „ernährungssensible Gutgläubige“, die fest an die Gesundheitskraft der DGE-Empfehlungen glauben, sich tagtäglich viel zu viel Gesundkost – im wahren Sinne – einverleiben, die sie einfach in der Menge nicht vertragen. Dazu hatte ich bereits vor 10 Jahren zur 5-Tag-Kampagne eine „freigeistige Korrelation“ vorgenommen (siehe Artikel), die erstaunliche stringente Entwicklungen des Zusammenhangs von Darmerkrankungen und dem Start der Kampagne offenbarte. Ob es hierbei kausale Einflüsse gibt, weiß niemand – aber das sieht schon „bisserl besorgniserregend“ aus und regt zum kritischen Nachdenken an.

Sollte man sich an die neuen „Gut essen und trinken“-Regeln der DGE halten?

Das muss jeder selbst entscheiden – und dabei am besten individuelle Verträglichkeit, Genuss und Gewissen als Grundlage heranziehen: Fühle ich mich sowohl körperlich als auch geistig wohl und zufrieden damit? Dann wunderbar. Wenn nicht, dann lassen Sie es und essen Sie so natürlich wie möglich, essen Sie intuitiv – denn kein gesunder Mensch(enverstand) braucht auch nur eine einzige Ernährungsregel samt frei erfundener Mengenangaben zu allen möglichen Lebensmittel. Das ist viel zu viel Verhedder auf evidenzfreiem Klein-Klein-Niveau. Stattdessen gilt: Vertrauen Sie auf die Signale Ihres absolut individuellen Körpers (Hunger. Lust, Verträglichkeit (!), Sättigung), denn nur er weiß, welche Ernährung für Sie persönlich die Beste ist. Es gibt so viele gesunde Ernährungen wie es Menschen gibt, denn: Jeder Mensch is(s)t anders.

Wurden die alten 10 Regeln der DGE von den Bürgern gut aufgenommen?

Nein – respektive gilt das ökotrophologische Universalcredo: Nichts Genaues weiß man nicht. Vor etlichen Jahren haben Umfragen eine „Ädhärenz“ (also ein Dabeibleiben/Einhalten) von etwa 5-10 % der Bevölkerung ergeben. Aktuelle Zahlen gibt es nicht. Es ist daher davon auszugehen, dass auch die neuen Empfehlungen vorwiegend „wohlwollend wahrgenommen“, aber nicht ins eigene Leben übernommen werden.

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Dieser Beitrag erschien zuerst auf FOCUS online-Experte

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Uwe Knop (*72) ist evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler (Dipl.oec.troph./JLU Gießen), Publizist, Referent und Buchautor (u.a. Erfolgreich abnehmen und schlank bleiben, Springer 2022). Seit mehr als 14 Jahren bildet die objektiv-faktenbasierte Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Knop at den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, worauf er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt – genussvolles Essen zur Lebenserhaltung – vertraut.