Anlässlich seiner digitalen Jahrestagung hat der Milchindustrie-Verband (MIV) eine Bilanz zum Milchmarkt sowie zu verschiedenen wichtigen agrarpolitischen Vorgängen für das bisherige Jahr 2020 gezogen.
Milchmarkt stabil
Der Markt für Milch und Milchprodukte zeigte sich trotz der Corona-Pandemie recht stabil. Allerdings hatte sich das Verbraucherverhalten zunächst verändert. Durch den vorübergehenden Wegfall der Belieferung an Hotels, Gaststätten und Gemeinschaftsverpflegung stieg der Bedarf der deutschen Haushallte deutlich. Auch in der EU war der Effekt zu spüren. Besonders litten darunter spezialisierte Liefermolkereien für den Großverbraucherbereich. Hingegen stieg die Nachfrage im deutschen und europäischen Einzelhandel auf ein Rekordniveau.
Die schwächere Marktsituation im 1. Halbjahr 2020 führte zeitverzögert zu leicht niedrigeren Auszahlungsleistungen der deutschen Molkereien an ihre Milcherzeuger. Jedoch gibt es regional eine stark unterschiedliche Ausprägung. Der durchschnittliche Milchpreis 2020 wird bundesweit etwa 32,5 Cent netto je Kilogramm Rohmilch betragen bei einem Fettgehalt von 4 Prozent und 3,4 Prozent Eiweiß.
Die Milchanlieferung in Deutschland liegt im Herbst 2020 witterungsbedingt in Summe etwas über dem Vorjahreszeitraum, wobei 2019 auch bereits ein sehr trockenes Jahr war. Anders als im Vorjahr sind 2020 einzelne Regionen innerhalb Deutschlands deutlich stärker von der Trockenheit betroffen, so dass es regional Futterengpässe bzw. geringe Futterreserven für die Wintermonate bis 2020 gibt.
Die Produktionskapazitäten für Käse in Deutschland wurden 2020 leicht erhöht. Weitere Großprojekte sind derzeit aber bei Käse nicht in Planung.
Brexit bereitet Sorgen
Sorgen bereiten dem Milchindustrie-Verband die Vorgänge um den möglichen „Harten Brexit“. Die Verhandlungen werden intensiv geführt, ein Abkommen mit dem Vereinten Königreich (UK) wird angestrebt. UK ist ein großer Nettoimporteur bei Milcherzeugnissen. Ein Beispiel: UK importiert mehr Käse als es selber produziert. Auch Deutschland wäre vom Harten Brexit betroffen; die Republik Irland würde besonders unter den Maßnahmen leiden.
Nutri-Score: Anpassungen notwendig
Nach Zustimmung des Bundesrates zur Verwendung des Nährwertkennzeichens Nutri-Score in Deutschland wird die erforderliche Anpassung des Bewertungs-Algorithmus dringlicher. Peter Stahl, Vorsitzender des MIV, fordert die Berücksichtigung von Ernährungsempfehlungen und des aktuellen wissenschaftlichen Standes. Erforderlich sind Anpassungen beim Protein und bei gesättigten Fettsäuren.
Richtiger Weg gegen verpflichtende Herkunftskennzeichnung
Der Milchindustrie-Verband begrüßt die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in dem Lactalis-Verfahren (C-485/18) zur verpflichtenden Herkunftskennzeichnung von Milch und Milcherzeugnissen. Mit dem Urteil setzt er seine ständige Rechtsprechung gegen die verpflichtende Herkunftskennzeichnung zum Schutz des EU-Binnenmarktes und des freien Warenverkehrs fort.
In seiner aktuellen Entscheidung macht der EuGH erneut deutlich, dass die Herkunft eines Lebensmittels aus einem bestimmten Mitgliedstaat als Verbraucherpräferenz niemals eine hinreichende Rechtfertigung für eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung sein kann. Nationale Vorschriften, die eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln damit rechtfertigen, dass der nationale Verbraucher die Herkunft des jeweiligen Lebensmittels wissen möchte, verstoßen daher gegen europäisches Recht. Der MIV erwartet somit nun endlich auch von der EU-Kommission ein eindeutiges Statement gegen die verpflichtende Herkunftskennzeichnung bei Lebensmitteln im Rahmen der Farm-to-Fork-Strategie.
Freihandelsabkommen mit Australien und Neuseeland
Mit Spannung und (einer gewissen) Skepsis erwartet der MIV die Beratungen in Brüssel zu den Freihandelsabkommen mit Australien und Neuseeland. Der MIV gibt zu bedenken, dass die EU-Kommission nicht zu große Angebote unterbreiten sollte, da sich auf der Gegenseite kaum das Absatzvolumen für europäische Ware vergrößern werde. Dies gilt insbesondere für den neuseeländischen Markt.
Umsetzung UTP-Richtlinie in Deutschland
Deutschland setzt derzeit die Richtlinie gegen unlauteren Wettbewerb (UTP-Richtlinie) aus Brüssel um. Dies geschieht in Form der Änderung des Agrarmarktstrukturgesetzes. Die Bundesregierung verfolgt einen ambitionierten Ansatz, braucht aber noch etwas Zeit für die Beratungen. Nicht ganz zufrieden ist der Verband mit der Richtlinie. Dass die Regelungen bei einer Umsatzgröße von über 350 Mio. € pro Jahr nicht mehr gelten sollen, ist in den Augen des MIV weltfremd.
Neues Gentechnik-Kennzeichnungsrecht
Mit Interesse erwartet der Verband die Beratungen der neuen EU-Kommission zum Gentechnik-Kennzeichnungsrecht. Nach dem Urteil des EuGH gibt es eine zunehmende Anzahl an Stimmen gerade aus dem wissenschaftlichen Spektrum, die eine intensive Auseinandersetzung und Neubewertung des Themas fordern.
Deutsche Ratspräsidentschaft und GAP 2020
Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) 2020 wird derzeit unter deutscher Präsidentschaft verhandelt. Mit Abschlüssen ist bald zu rechnen, so dass das Regelwerk ab 2023 zur Anwendung kommen kann. Der Verband erhofft sich von Brüssel sachgetragene und finanzierbare Lösungen ohne vermehrten Bürokratieaufwand für die Molkereien.
Während sich der Markt eher in einer stabilen Seitwärtsbewegung zeigt mit Tendenz steigender Preise, werfen die verschiedenen politischen europäischen und globalen Themen unterschiedlichste Fragen auf. Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass die Molkereien und Milcherzeuger in Deutschland in der Lage sind, erfolgreich auch schwierigste Situationen zu meistern und für die Verbraucher in der Region, in Deutschland oder auch global geschmackvolle und gesunde Lebensmittel zu erzeugen.
Quelle: Milchindustrie-Verband